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Proben zu „Hass“
Foto: Thomas Morsch

„Ghettojungs sind Klischee, manchmal aber auch nicht“

25. Februar 2016

Im Freien Werkstatt Theater stehen acht Roma und Sinti in „Hass“ auf der Bühne – Premiere 03/16

Viel geändert hat sich bislang offenbar nicht. 1995 kam der Film „Hass“ von Mathieu Kassovitz in die Kinos, der das Leben dreier Ghettokids schildert. Vince, Said und Hubert leben in einer der Hochhaussiedlungen in der Banlieue von Paris. Als der junge Abdel von Polizisten ins Koma geprügelt wird, kommt es zu Krawallen. Der Film schildert einen Tag im Leben des Trios, den Leerlauf und die Langeweile, die Ghettoisierung, die Wut und die Gewalt, die Freundschaft und Nähe zueinander. Am Freien Werkstatt Theater adaptiert Regisseur Stefan Herrmann den Film für die Bühne. Das Trio wird von drei jungen deutschen Roma aus dem Kosovo gespielt. Ein Gespräch mit Regisseur Stefan Herrmann und dem Darsteller Fanton Mistele.

Herr Mistele, was hat der Alltag des Trios aus dem Film „Hass“ mit ihrer Lebenswelt zu tun?
Faton Mistele: Es ist heute immer noch so, dass man in eine Schublade gesteckt wird. Dieses klischeehafte Denken. Es gab Momente, da habe ich gedacht, es sei vorbei, jeder sei tolerant und offen. Wenn ich den Film sehe und mich in die Charaktereigenschaften von denen versetze, denke ich, die Jungs sind ganz OK, liebe Kerle, aber die verstellen sich eben nur, weil das alles passiert.

Herr Herrmann, „Hass“ von Mathieu Kassovitz ist 20 Jahre alt und spielt in der Banlieue von Paris. Wie aktuell ist der Film heute und wie lässt sich die Geschichte nach Deutschland übertragen?

Stefan Herrmann
Stefan Herrmann, Foto: Thomas Morsch

Stefan Herrmann (*1976 in Hamburg) war nach seiner Ausbildung in den USA als Regieassistent an u.a. an den Hamburger Kammerspielen, dem Staatstheater Braunschweig, dem Berliner Ensemble engagiert. Heute arbeitet er als freier Regisseur und ist Schauspieldozent. 2014 inszenierte er „Das Himbeerreich“ am Theater im Bauturm und wurde für den Kölner Theaterpreis nominiert.

Faton Mistele (*1994 bei Laupheim als Sohn einer islamischen Roma-Familie) engagiert sich beim „Terno drom“, einer Jugendselbstorganisation von Roma und Nichtroma in NRW. Er hat u.a. mitgewirkt in der Essener Inszenierung „Odyssee – Lustig ist das Zigeunerleben“ (R: Volker Lösch) und in Wuppertal bei „Kontakthof für Jugendliche“ (R: Pina Bausch).

Stefan Herrmann: Hier in Köln nehme ich auch keine Ghettos wahr, aber in Wuppertal-Oberbarmen, wo Fanton herkommt, oder in Berlin in Neukölln, da sehe ich schon starke Bezüge, auch in den Kölner Vorgängen an Silvester. Im Film kommt es zu den Krawallen, als der junge Abdel von der Polizei ins Koma geprügelt wird. Wir wollen mit der Inszenierung die Frage stellen, ob solche gewaltsamen Reaktionen auch in Deutschland möglich wären.

Perspektivlosigkeit, Ghettoisierung und Reglementierung durch die Polizei ist das, was den Jugendlichen in „Hass“ letztlich bleibt. Inwieweit trifft das auch auf Roma zu?
FM: Ich wohne in Wuppertal-Oberbarmen, das ist ein sozialer Brennpunkt und der Stadtteil, der am wenigsten gefördert wird. Ich erlebe das tagtäglich. Aber ich würde nicht sagen, dass man wie in Paris auf die Straße geht, Läden kaputt haut und versucht, Leute abzuziehen. Ich habe einen Bekannten, der wurde bei einer Polizeikontrolle ins Gesicht geschlagen. Um das zu verarbeiten, hat er das gerappt – aber aus zwei Perspektiven. Auch die Jungs im Ghetto sind offener geworden.

Ist Wuppertal-Oberbarmen ein Ghetto?
FM: Auf jeden Fall. Ich kenne da zwei Jungs, da hat der eine den anderen mit der Schusswaffe abgezogen wegen einem Kaugummi und einem 10 Euro Handy. Es ist ein Jahr her, da hat ein Mann mitten auf der Straße tagsüber auf seine Frau mit der Axt eingeschlagen, weil er gehört hat, sie macht mit jemand rum. Das ist schon krass. Wenn du aber eine Straße weiter gehst, sieht alles ganz anders aus, da stehen Einfamilienhäuser.

Warum haben Sie die Figuren des Stücks mit Roma besetzt?
SH: Ich komme selbst aus einer Sinti-Familie und habe lange nach einem Stoff gesucht, um etwas über die Gesellschaft innerhalb der Gesellschaft zu erzählen. Ich komme aus Hamburg, aus einem Straßenviertel, in dem nur Sinti wohnen, und die bleiben unter sich. Meine Verwandtschaft lebt in einer ganz eigenen Welt, obwohl sie Deutsche sind und sich auch so verstehen. Dieses Thema hat mich auch an „Hass“ interessiert: die Stadt in der Stadt. Mich interessiert diese Fiktion, die wir dann aber mit Erzählungen von der Situation der Roma in Deutschland verknüpfen. Dass jetzt drei Roma und fünf Sinti die Rollen spielen, hat letztlich inhaltliche und pragmatische Gründe.

Geht es bei den Texten über das Leben der Roma in Deutschland um subjektive Erfahrungen der Darsteller oder eher um allgemeine Betrachtungen?
SH: Da wird es unter anderem um Senads Fast-Abschiebung oder auch um Sedats Nazifreund gehen.
FM: Ich bin durch meinen Bruder zum Pina Bausch Tanztheater gekommen. Der dachte zuerst, das sei ein Hip-Hop-Casting. Dann hat er die schönen Mädels gesehen und ist geblieben. Außerdem kam das gut bei den Lehrern an. Ich habe gesagt, was willst du mit diesem Schwuchtelscheiß. Mein Bruder hat mich dann zu einer Probe mitgeschleppt und hat gesagt, die reisen ganz viel herum. Direkt bei der ersten Probe habe ich Gänsehaut bekommen.

War das das Stück „Kontakthof“?
FM: Ja, „Kontakthof für Jugendliche“. Da war auch Jonas dabei, ein Rocker mit ganz langen Haaren und Piercings. Ich hab gedacht, wie sieht der denn aus. Als ich den kennengelernt hab, war das ein lieber Kerl. Der hat Sport gemacht, Deutschrap gehört wie ich. Der war megakorrekt. Ich bin heute noch mit dem befreundet. Seit ich 16 bin, stehe ich auf der Bühne. Ich habe inzwischen bei Volker Lösch gespielt, viel am Opernhaus als Statist, aber auch als Security oder als Gärtner gearbeitet.
SH: Wir spielen mit dem Film natürlich auch ein Klischee von den kriminellen Roma auf der Bühne. Dass die Jungs die „Ghettokids“ spielen, wird dann in eingeschobenen Szenen wieder kommentiert und gebrochen. Ob diese Szenen etwas Biografisches erzählen oder nur reflektieren, was sie spielen, das werden wir sehen.

Wie viel Realität, wie viel Klischee liegt in der Geschichte von den Ghettokids?
SH: Wir haben am Samstag am Text weitergearbeitet, haben den Text auf einen Stick gezogen und wollten dann ins Internetcafé, um das zu verschicken. Ich sah mit schickem Mantel aus wie der Regisseur, daneben drei Romajungs mit Hoodies. Es war nicht klar, dass wir zusammengehören. Der Besitzer hat nur nach den Jungs geschaut, ob die Jungs klauen. Ich hab dann eine laute Bemerkung gemacht und signalisiert, dass wir zusammengehören.
FM: Das ist Alltagserfahrung für uns. Wenn man das jeden Tag erlebt, lässt einen das kalt. Die Ghettojungs, das ist oft ein Klischee, manchmal aber auch nicht.
SH: Ich hatte in einer frühen Phase Kontakt mit dem Zentralrat der Roma und Sinti. Als ich denen das Ursprungskonzept des Stücks erklärt habe, haben sie gesagt, damit würde ich das Klischee der Deutschen über die Roma bedienen. Da ist etwas dran und das habe ich noch nicht gelöst, aber viele meiner Verwandten sind Kriminelle und waren im Knast, es ist so. Wir sind auf der Suche, wie man damit trotzdem umgehen kann.
FM: Man muss die Klischees gar nicht so übertrieben brechen, wenn man etwas übertriebener spielt, dann weiß jeder Bescheid.

Sie spielen doch auch im Alltag mit dem Klischee, mit der Fiktion, wenn Sie den Assi-Slang hervorholen?
FM: Zusammen mit den Jungs haben wir manchmal einfach keine Lust auf die deutsche Grammatik. Wir machen das extra. Das ist unter den Jungs cool. Ich kann aber auch ganz anders. Wenn wir mit unserer Mutter sprechen, ist das ganz anders. Sie ist eine kleine Frau, aber der Big Boss, vor der sogar mein ältester Bruder Respekt hat. Vor meiner Mutter sprechen wir richtig vernünftig, ohne Schimpfwörter. Mit den Jungs redet man normal. Man veralbert das ein bisschen, damit man sich lockerer fühlt.

„Hass“ | R: Stefan Herrmann | 16.-18.3. 20 Uhr | Freies Werkstatt Theater | 022132 78 17

Interview: Hans-Christoph Zimmermann

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