Wer erinnert sich noch an die Pinnwände, auf denen man Bilder miteinander kombinierte, die anregend auf die Fantasie wirken sollten, weil sie außer dem Geschmack ihres Besitzers nichts miteinander zu tun hatten. Heute gibt es Tumblr, ein Internetportal mit über 130 Millionen Mitgliedern, die untereinander Bilder tauschen, für die kein Copyright anfällt. Eine digitale Pinnwand, die im Mai dieses Jahres für 1,1 Milliarden Dollar den Besitzer wechselte. Bilder treten die Nachfolge der Texte an, das wird nicht nur am Tumblr-Phänomen deutlich. Deshalb stellt sich die Frage: Was verbindet diese Bilder eigentlich, die vom Schnappschuss über das Modefoto, das Reportagefoto bis hin zu vielen erotisch oder pornografisch zubereiteten Bildern reicht?
Rudolf Bonvie demonstrierte schon zu Beginn der siebziger Jahren in seinen medienkritischen Werken, wie die Bild-Zeitung oder die Illustriertensprache des STERN funktionierte. Jetzt zeigt die Galerie Priska Pasquer in Köln die neuen Arbeiten von Bonvie, die sich auf ein altes Sujet beziehen. 1973 schuf Bonvie die Serie „Dialog“ auf der in 13 Abbildungen die Hand eines Mannes und einer Frau zueinander finden. Eine im buchstäblichen Sinne berührende Arbeit, bei der die Akzente der Geschlechter subtil gesetzt wurden und die neben der Suche nach dem anderen auch viel mit Inspiration zu tun hat. Michelangelos Darstellung des göttlichen Funkes, mit dem er Adam erschafft, wird hier mit erotischer Ironie im Bett gezündet. Bonvie ist den Wegen nachgegangen, die seine Fotos bei Tumblr - wo vor allem die 16- bis 24-Jährigen unterwegs sind - beschritten haben, nachdem sie über 50.000 Mal „gerebloggt“ wurden. Warum werden die Bilder wo „geshared“? So tauchen sie etwa im Kontext der Mode auf oder auf Seiten von suizidgefährdeten jungen Frauen.
Die Arbeiten finden sich in wechselnden Bildzusammenhängen wieder, die Bonvie geprintet hat. In den großformatigen Bildarrangements („Tumblrworks“) wird die Stummheit zwischen den Bildern, die ja alle von irgendwoher geholt wurden und als Fertigteile nebeneinander gesetzt werden, offensichtlich. Hier wird nicht mehr gesprochen, sondern gezeigt. Ein Phänomen, das unser Denken verändern wird. Darüber hinaus stellt sich die Frage, welcher Wert den Bildern an der Wand angesichts dieses Umgangs mit den Fotografien noch zukommt. Muss man sie noch besitzen, welche Aufgabe kommt dann den Galerien zu? Aus diesen Fragen entwickelten Rudolf Bonvie und die Galerie die Idee, den Usern eines der Fotomotive in einer Auflage von 1.000 Exemplaren zum Preis eines dicken Fotobuchs anzubieten – der Versuch, eine Brücke zwischen dem Netz und der Realität zu schlagen. Das virtuelle Bild wird wieder zum realen Gegenstand. In jedem Fall ein Projekt, mit dem der 1947 geborene Rudolf Bonvie die Wirkung der Fotografie als neuer Leitwährung der medialen Kommunikation auf prickelnde Weise in Frage stellt.
Rudolf Bonvie. Dialog | bis 23. November | Galerie Priska Pasquer | geöffnet Di-Sa, 11-18 Uhr | Albertusstr. 9-11.
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