Als Issei Suda die Weltbühne der Fotografie betrat, vollzog sich ein entscheidender Wandel. Der große Henri Cartier-Bresson hatte in Europa die Kamera an den Nagel gehängt. Die ganze Welt ließ sich nicht mehr in einem einzigen Bild beschreiben. Zugleich begann in Japan mit den Nachfolgern des bewunderten Übervaters Shomei Tomatsu eine wilde Knipserei. Das Leben in all seiner Rohheit und Zufälligkeit wurde plötzlich Gegenstand des Bildinteresses. In dieser Situation zu Beginn der 70er Jahre vertrat Issei Suda einen einsamen Standpunkt im Diskurs der Japanischen Fotografie. Suda lehnte den „schnellen Schuss“ ab, eliminierte die Spontaneität aus seinen Bildern. Unter Japans großen Fotografen ist keiner der Tradition der sachlichen Fotografie – wie sie in Deutschland seit Generationen gepflegt wird – so nahe wie Issei Suda.
Der heute 73-Jährige bleibt respektvoll auf Distanz. Stets in Augenhöhe zu seinem Gegenüber, führt er die Kamera streng und überlegt, ohne das Überraschungsmoment zu suchen, selbst wenn sein Gegenüber eine Katze ist. Mädchen und Frauen fotografiert Suda in traditioneller Kleidung, den jungen männlichen Kadetten schaut er beim Plausch zu, und seine Straßenfotografie gibt sich nie dem Strom der Emotion hin. Issei Suda ist der große Außenseiter unter Japans renommierten Fotokünstlern; während Daido Moriyama und die legendäre Gruppe der Provoke-Fotografen bedingungslos ihren spontanen Gefühlen folgten, sucht Issei Suda abgeklärte Sujets.
Die Galerie Priska Pasquer zeigt jetzt großartige Beispiele für Sudas ikonenhafte Fotografie, die einen statischen Aspekt durch ihre quadratischen Formate erhält, in denen der Bildgegenstand fein säuberlich ins Zentrum gerückt ist. Obwohl die Situationen wie im Theater arrangiert sind – Suda fotografierte tatsächlich über viele Jahre im Bereich der avantgardistischen Bühnen –, erzählen sie doch von einem sorgsam verborgenen Geheimnis. Alles zu zeigen heißt nicht, dem Betrachter die Welt zu erklären. Die Menschen auf Sudas Portraits halten etwas zurück, sie liefern sich nicht willig dem Blick aus, wie wir es heute in den Fernsehbildern beobachten können. Doch gerade weil man nicht alles sehen kann, erhält man eine Vorstellung vom Innenleben, der Persönlichkeit der Menschen, die vor Sudas Kamera treten. Selbst die Kinder begegnen seiner Kamera mit selbstbewusster Attitüde.
So verweist auch der Titel der Ausstellung „The Transmission of the Flower of Acting Style“ auf die dramaturgischen Lehrbücher des No-Theaters. In ihnen wird das Erblühen einer Blume beschrieben, deren letzte Geheimnisse verborgen sein sollten, damit man die Schönheit und die kreative Kraft, die den Dingen innewohnt, noch entdecken kann. Die Ausstellung zeigt Arbeiten aus den späten 70er Jahren, als Suda mit dem Buch „Fūshi Kaden“ Berühmtheit erlangte. Damals siedelte er vom Land in die Stadt über, und seine Sujets wechselten vom Portrait zu Straßenszenen. Ein Sujet, das er meisterhaft in Angriff nahm, weil seine wohldosierte Distanz die Lebendigkeit des Verkehrs und des öffentlichen Lebens umso beeindruckender ins Bild setzte.
„The Transmission of Flower of Acting Style” | bis 29.6. Di-Fr 11-18 Uhr, Sa 11-16 Uhr | Galerie Priska Pasquer, Albertusstr. 9-11 | www.priskapasquer.com
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