Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
16 17 18 19 20 21 22
23 24 25 26 27 28 29

12.581 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Das Duo FAKA aus Johannesburg im Stadtgarten
Foto: Florian Holler

Graben nach des Pudels Kern

06. November 2017

Musikfestival „Digging the Global South“ im Stadtgarten – Festival 11/17

Ziemlich ratlos blickt sich das Ensemble an. Im Publikum herrscht gespannte Stille. Worüber reden wir hier? Was wollen wir bezwecken mit unserer Musik, fragen sich die Musiker rund um Improvisationskünstler Mattin. Mitten in ihrer Perfomance machen sie plötzlich eine Pause, um über ihr Tun zu reflektieren. Mit seinen politisch aufgeladenen Noise-Experimenten war Mattin dieses Jahr schon auf der Documenta zu sehen. Am Donnerstag eröffnete er das Festival „Digging the Global South“ zur Pluriversale VII im Stadtgarten. Düster-bedrohliches Rauschen wechselt sich ab mit abrupten und fast jazzigen Schocks, die Mattin als Erzähler begleitet. In den sieben Songs erzählt er die Geschichte der russischen Revolution nach und verbindet diese mit gesellschaftlichen Missständen und Vorwürfen an unsere Zeit. Bis zu besagter Pause. Zu einem Ergebnis kommen die sieben Musiker bei der Diskussion nicht. Unangenehmes Schweigen beherrscht die Szenerie. Was hier ausgestellt wird, ist eine Ratlosigkeit, die ebenso das Publikum ergriffen zu haben scheint. Fast verschüchtert wirkt der Applaus am Ende des Eröffnungskonzertes, welches zwischen den einzelnen Songs ausgeblieben war.


Noise und Improvisation mit dem Spanier Mattin
Foto: © Akademie der Künste der Welt/Köln

Viel hatte man sich vorgenommen für drei Tage „Digging the Global South“. Elektronische Musik von Künstlern aus Afrika oder solchen mit afrikanischen Wurzeln und Einflüssen wird immer relevanter, auch in den westlichen Musikszenen. Das Festival zeigte sich mit den Auftritten von Künstlern wie Moor Mother, Lukas Ligeti, Rough Americana oder FAKA auf der Höhe der Zeit. Auf der anderen Seite wurde diese Entwicklung hinterfragt und reflektiert. Es wurde gefragt nach der Warenförmigkeit dieser Musik, der Ausschlachtung eines kapitalistischen Exotismus in Zeiten von zunehmenden Hegemoniebestrebungen und Erfolgen der neuen Rechten. Zu diesem Zweck war das Festival nicht nur der Musik, sondern ebenso sehr der Diskussion verpflichtet. Der Professor für kritische Theorie Benjamin Noys fand ebenso viel Raum für sein Essay über „Accelarationism“ wie Musiker Luka Guindo mit seinem Synthie-Pop.


Diskussion: Michael Gläser, das Duo Rough Americana, Mattin, Benjamin Noys
Foto: Florian Holler

Das alles unter einen Hut zu kriegen, ist keine leichte Aufgabe. Kurator Michael Gläser gab sich alle Mühe dabei, die Elemente zu verbinden und zu moderieren. Und tatsächlich konnte man einige interessante Ideen und künstlerische Ansätze bestaunen. Der zornig wummernde Auftritt von Moor Mother und die energetische und spielfreudige Performance von FAKA waren dabei die musikalischen Highlights. Auch die Einführung von Michael Bird, der mit seinen Field Recordings Aufnahmen von klassischen Instrumenten in Afrika sammelt, konnte man mit viel Gewinn zuhören. Oft blieben die losen Enden und Assoziationen der Vorträge und Darbietungen allerdings unverbunden. Zeitprobleme zwangen Rough Americana, ihren Auftritt nach knapp 10 Minuten zu beenden. Auch Benjamin Noys schaffte es nicht in der kurzen Zeit, die ihm zur Verfügung stand, seinen Standpunkt über die Entwicklung und Verwicklung von Musik und Politik anschaulich zu machen. Den roten Faden vermisste man trotz vieler interessanter Assoziationen und Ideen allzu häufig.

Afrikanische und experimentelle Musik, kapitalistische Produktionsbedingungen, Exotismus, Identität, kulturelle Aneignung: Es war ein komplexes und weites Feld, das sich am Wochenende über das Stadtgarten-Gelände ausbreitete. „Digging the Global South“ lieferte einen gehaltvollen Einblick in die Diskurse rund um diese Themen. Viel mehr kann man eigentlich nicht verlangen. Doch um der Sache etwas von ihrer Sperrigkeit und Zähheit zu nehmen, sollte man sich vielleicht mehr an Moor Mother halten, die als einzige bei der Eröffnungsdiskussion spontanen Beifall erntete, als sie in aller Lakonie sagte: „I just love making strange sounds.“ Amen.


Moor Mother im Stadtgarten
Foto: © Akademie der Künste der Welt/Köln

Das Festival war eine Kooperation der Akademie der Künste der Welt mit dem Stadtgarten. Die Akademie wendet sich heute in einem offenen Brief gegen die vom Finanzausschuss der Stadt beantragte Kürzung des bereits eingeplanten Betriebskostenzuschusses für 2018 um 40 Prozent. „Die Beschlussvorlage von CDU, FDP, Grünen und der Ratsgruppe GUT ist völlig unverständlich und trifft uns gänzlich unvorbereitet“, heißt es in der Mitteilung. Über den Antrag wird am morgigen Dienstag im Stadtrat entschieden.

Akademie der Künste der Welt: Pluriversale VII | bis 10.12. | Programm | Offener Brief

Florian Holler

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Mufasa: Der König der Löwen

Lesen Sie dazu auch:

Jazz-Highlight im neuen Jahr
David Murray Quartet im Stadtgarten

Befreiung durch Verwandlung
Laura Totenhagen im Stadtgarten – Musik 11/24

Besuch von der Insel
„Paul Heller invites Gary Husband“ im Stadtgarten – Improvisierte Musik in NRW 04/24

Woyzeck im Karneval
„kah.na.v‘aw“ in der Akademie der Künste der Welt – Kunstwandel 11/23

Verbindung zweier Welten
Afrika Festival in Bad Godesberg – Musik 07/23

„Die Innovationskraft des afrikanischen Kontinents hervorheben“
Martina Gockel-Frank und Dr. Clemens Greiner über die „European Conference on African Studies“ – Interview 05/23

Achtmal Brücken und siebenmal Rock
Akademiker und Rocker im Konzert – Unterhaltungsmusik 05/23

Je bunter, umso besser
„Die Verwandlung“ in Wuppertal, Köln und Düsseldorf – Improvisierte Musik in NRW 01/23

Den Eisbär im Programm
JugendJazzOrchester NRW im Stadtgarten Köln – Improvisierte Musik in NRW 12/22

„Habe mit dem Klavier eine tiefe Freundschaft geschlossen“
Hans-Joachim Roedelius über Leben und Musik – Interview 08/22

Bloß kein Klangmuseum
„Cologne Jazzweek“ erobert die Domstadt – Improvisierte Musik in NRW 08/22

Back to Business – im falschen Format?
Die Musikbranche zwischen Hoffnung und Bangen – Unterhaltungsmusik 07/22

Musik.

HINWEIS