Wenn in Köln über die Zukunft des Historischen Archivs gesprochen wird, fällt unweigerlich ein Begriff, unter dem dessen Leiterin, Bettina Schmidt-Czaia, die Neuausrichtung des Hauses betreiben will. Danach soll Köln am neuen Standort ein „Bürgerarchiv“ erhalten. Das sorgt zwangsläufig für Irritationen, ist doch jedes kommunale Archiv automatisch ein „Bürgerarchiv“; einerseits weil es von Bürgern genutzt wird, andererseits weil es Dokumente verwahrt, die u. a. bei Rats- und Verwaltungsarbeit entstehen, also bei Tätigkeiten der Bürgervertreter und Dienstleister für die Bürger. Der Begriff „Bürgerarchiv“ ist demnach eine unsinnige Tautologie. Wieso verwendet ihn Bettina Schmidt-Czaia dann? In einem Vortrag, gehalten am 10. Oktober vergangenen Jahres im Stadtmuseum, führte sie dazu aus: „Das Bürgerarchiv […] soll zum zentralen Ansprechpartner der Stadtgesellschaft für ihre Geschichte werden. Es wird sich nicht mehr als vornehmlich wissenschaftliche tätige Institution verstehen, sondern sich den Nutzungsinteressen ihrer Verwaltung und aller Bürgerinnen und Bürger öffnen“. Nun war das Stadtarchiv aber bereits in der Vergangenheit dieser Ansprechpartner. Und wenn es kein optimaler war, dann deshalb, weil die Stadt es vor dem Einsturz nahezu kaputt gespart und sein Personal von einstmals rund 70 Stellen halbiert hatte. Schmidt-Czaia gibt also eine bislang geltende Selbstverständlichkeit als Neuerung aus.
Konkurrenzen
Ein weiteres Statement lässt aufhorchen: „Das Historische Archiv hat sich vor dem Einsturz lange als ein wissenschaftliches Institut betrachtet, das seinen Schwerpunkt in der Erforschung der Kölner Geschichte mittels eigenen Personals sah. Der Schwerpunkt lag auf der Benutzung durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Zwar hatte dies eine große Reputation zur Folge, man verlor bei dieser Sicht auf die Dinge aber die Bürgerschaft in ihrer Breite oder auch die Interessen der für die Unterhaltung der Institution verantwortlichen Trägerverwaltung aus den Augen.“
Damit wird suggeriert, die Nutzung des Archivs durch die Wissenschaft, z. B. durch Studenten, habe zu einer Benachteiligung anderer Nutzer aus Stadtgesellschaft und Verwaltung geführt. Damit wird ein Interessenskonflikt auf Kosten wissenschaftlicher Nutzer konstruiert, der völlig an den Haaren herbeigezogen ist. Es wird Spaltung betrieben.
Schmidt-Czaia argumentiert weiter, erst die Ausrichtung auf die Wissenschaft habe die Kürzung von Personal- und Sachmitteln befördert und damit zu gewaltigen Erschließungsrückständen geführt, „die sich schließlich auf etwa 60 Prozent summierten“. Schuld daran sollen auch die Depositare haben, von denen man sich„vielfach Nachlassteile (habe) aufdrängen lassen“.An wen denkt die Archivleiterin dabei? Mit ihrem instinktlosen Rundumschlag stellt sie letztlich alle Bürger, die der Stadt etwas anvertraut haben, unter den Generalverdacht, sich aufgedrängt zu haben.
Service für Nutzer
Als Kern der Argumentation wird unter dem Strich ein künstlicher Gegensatz zwischen Wissenschaftsinteressen und Erschließungsinteressen konstruiert, den es aus Nutzersicht so gar nicht gibt. Eine sorgfältige Bestandserschließung und praktische Findmittel sind zur Nutzung ebenso unerlässlich wie die Expertise wissenschaftlich arbeitender Archivkräfte. Letztere können Hinweise auf Fundstellen oder Querverbindungen liefern, die sich aus Findbüchern nicht erschließen lassen. Wer wissenschaftliche Expertise abbauen will, schwächt somit den Service für alleNutzer. Das Hantieren mit dem Lockterminus „Bürgerarchiv“ ist deshalb nichts anderes als die Verschleierung der Tatsache, dass künftig am Service gespart werden soll. Das „Bürgerarchiv“ bringt keine grundlegende Verbesserung für neue Nutzerschichten, sondern verkauft nach außen – ganz im Geiste des Neoliberalismus – eine substanzielle Kürzung der Dienstleistung als Gewinn für alle. Und nach innen sorge die Eliminierung wissenschaftlichen Eigensinns innerhalb der Mitarbeiterschaft für ein widerspruchsfreies Klima.
Nutzerfreundlichkeit erreicht man so nicht. Ein Archiv, das möglichst vielen einen optimalen Service bieten möchte, verzichtet auf Gebühren, stellt seine Findmittel online, gewährt die Möglichkeit, Archivalien kostenfrei zu fotografieren, stellt sicher, dass online bestellte Archivalien im Benutzersaal spätestens nach 20 Minuten vorliegen und stärkt ausdrücklich die wissenschaftliche Kompetenz seines Mitarbeiterstabs. Die derzeitige Leiterin des Stadtarchivs, die auf Kritik dünnhäutig reagiert und bereits mehrfach Anstrengungen unternommen hat, öffentliche Kritik an ihren Planungen zu unterbinden, hat bislang wenig Anlass zur Hoffnung geboten, dass die Neuaufstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln intelligent, mit Sachverstand und im Konsens mit der Bürgergesellschaft angegangen wird. Die Aufgabe, ein zukunftsweisendes Konzept für das Stadtarchiv zu erarbeiten, ist bislang ungelöst.
Weitere Informationen unter: www.koelnkannauchanders.de/dokumente/archiv
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