Kölns Kulturpolitiker stehen leider ebenso wie die Kölner Kulturverwaltung im Ruf, nicht Spitze zu sein. Schon vor dem Einsturz des Stadtarchivs war die Liste der Fehltritte lang. Das städtische Missmanagement des Unglücks hat schließlich OB Fritz Schramma (CDU) den Job gekostet und den Ruf der „Kulturmetropole“ endgültig ruiniert. Kein Wunder also, dass der Kölner Kulturrat um Sprecher Peter Bach nicht die kulturpolitischen Sprecher der Ratsparteien einlud, um die zukünftige Kölner Kulturpolitik auszuloten. Gefragt waren vielmehr die Fraktionsspitzen von SPD, CDU, Grünen und FDP, um zur „Perspektive und Zukunft der Kulturmetropole“ Auskunft zu geben. In Wahlkampfzeiten steht die Machtfrage im Mittelpunkt. Da sind Fraktionsvorsitzende wichtiger als Fachpolitiker eines eher marginalen Politikfeldes. Die „Kulturbaustellen“ sind zahlreich – egal, ob Archäologische Zone, Jüdisches Museum, Schauspielhaus, Oper und Stadtarchiv oder Stadtmuseum. Es ist auch schon von neuen millionenschweren Projekten die Rede, der „Akademie der Künste der Welt“ etwa, einem Tanzhaus oder einer neuen Gesellschaft für Kulturmarketing. Da summiert sich schnell noch einmal ein höherer zweistelliger Millionenbetrag.
Offen ist allerdings, ob und wenn und wie die Fraktionschefs das finanzielle Desaster noch richten können. Denn die Stadt ist perspektivisch pleite. Neben den bereits aufgehäuften Schulden von rund 4,4 Mrd. Euro oder 4.374 Euro pro Einwohner rechnet man für die nächsten beiden Jahre mit Steuermindereinnahmen von mindestens 600 Mio. Euro, die Mehrkosten des U-Bahn-Baus nach dem Einsturz dürften bei einer Milliarde liegen, die Versorgung der beschädigten Archivalien und der Neubau des Archivs insgesamt ähnlich viel kosten, die fast schon bescheidenen Mehrkosten der Opernsanierung eher die 200 Mio. Euro-Grenze überschreiten. Derartige Kostensprünge hält der Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins sogar für normal. Da fallen zusätzliche „unvorhersehbare“ Mehrausgaben kaum noch ins Gewicht, etwa, wenn der Umzug des Rautenstrauch-Joest-Museums (RJM) fünfmal teurer wird als berechnet oder die geplante rechtsrheinische Rheintreppe um ein Drittel zulegt. Die überteuerte Miete für die neuen Messehallen ist schon fast verdrängt.
Auf der anderen Seite wachsen die sozialen Probleme. 400.000 Kölner haben inzwischen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein – billiger Wohnraum ist dagegen rar. Kölns Stadtteile driften auseinander – in keiner anderen deutschen Großstadt ist die Segregation der Bevölkerungsgruppen in arm und reich, gut und schlecht ausgebildet so weit fortgeschritten wie in Köln. Auch die wachsende Kinderarmut bereitet Sorge, Bildungspolitiker beklagen den schlechten Zustand vieler Schulgebäude. Sozialforscher wie der Kölner Professor Christoph Butterwege fordern angesichts der „Armut in einem reichen Land“ schon eine neue Kultur der Solidarität.
Verteilungskämpfe
Im 100-km-Umkreis von Köln befinden sich allein 27 öffentlich getragene Symphonieorchester. Am Rhein entlang steht ca. alle 30 Kilometer ein Opernhaus, die Zahl der Museen ist kaum noch zu überblicken. Kein anderes Politikfeld hat in den letzten Jahrzehnten so bedingungslos auf Wachstum gesetzt wie die Kulturpolitik. Seit den 1970er Jahren hat sich das öffentliche Kulturangebot nach Schätzungen bundesweit insgesamt verzehnfacht. Die Besucherzahlen konnten damit jedoch nicht Schritt gehalten. Bei den Museen fragt man sich inzwischen sogar im Deutschen Museumsbund, ob es nicht zu viele Häuser gibt. Der oft und gern beschworene Besucherboom konzentriert sich auf wenige Standorte und hängt zentral vom Tourismus ab, wobei die dabei eingesetzten Marketingstrategien den Musicaltheatern abgeguckt sind. Doch auch dem konsequentesten Kulturmarketing sind Grenzen gesetzt. Für eine gute Hälfte der Bevölkerung ist „Kultur“ gar kein Thema. Der Anteil kulturell Interessierter liegt wie vor 40 Jahren bei rund zehn Prozent. Zwar nutzen sie mehr kulturelle Angebote als früher, doch ihr Zeitbudget ist ebenso wie ihre Mobilität fast ausgeschöpft – für die Rheinschiene ist das abgefragt. Der Wettbewerb zwischen den „Kulturmetropolen der Region“ um die überschaubare Kundschaft wird also härter werden.
Wer ist diese Kundschaft? Beispiel Oper – als Teil der Städtischen Bühnen ist sie der größte Posten des Kulturetats. Opernfans sind durchschnittlich um die 60 Jahre alt und deutlich besser gebildet als der Rest der Bevölkerung. Der Anteil an Leitenden Angestellter, Beamten und Akademikern ist überproportional hoch, entsprechend auch der Anteil der Besserverdienenden. Das Hören von Klassischer Musik ist für sie alltäglich und prägt ihren gesamten Lebensstil – früher hätte man von einer Subkultur gesprochen. Das Milieu droht allerdings zu vergreisen und ist längerfristig vom „Aussterben“ bedroht, so eine einschlägige Erhebung. Denn generationenbedingt hat sich der Musikgeschmack ausdifferenziert, was auch die eine oder andere Kinderoper nicht ändern wird. Stimmt da noch die Balance zwischen der Pflege des kulturellen Erbes und der Förderung neuerer Kunstformen? Sollen die Opernkarten für wenige auch weiterhin hoch subventioniert werden, wenn auf der anderen Seite das Geld für eine Schulspeisung knapp zu werden droht? Wie wäre es, wenn hier einmal das Prinzip des Fördern und Fordern zur Geltung käme. Fördern ist OK, wenn eine Gegenleistung erbracht wird. Etwa ein höherer Eintrittspreis als Beitrag der Besserverdienenden zu Gunsten der Schwächeren in der Gesellschaft.
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