Der politische Mord an Parteiführern ist aus der Mode gekommen. Ein Anschlag auf Merkel oder Nahles aus Gründen der GroKo: undenkbar. In Jean-Paul Sartres 1942 entstandenem Drama „Die schmutzigen Hände“ ist das noch anders. Der junge Kader Hugo ermordet den Parteichef Hoederer, weil der mit monarchistischen und liberalen Kräften gegen die fremde Besatzungsmacht paktieren will. Das Stück wird in einer Rückblende nach Hugos (Manuel Zschunke) Entlassung aus dem Gefängnis erzählt, das in Marco Štormans Bonner Inszenierung offenbar das Theater selbst ist. Smart schlendert der Mörder durch die Brandschutztür im Hintergrund auf die bis auf die Drehscheibe leere Bühne. Einem Verhör der Parteigenossen entzieht er sich mit ironischen Wendungen. Die Erinnerung an seinen früheren naiven Idealismus katapultiert ihn zurück in seine Beziehung mit der jungen Jessica (Maya Haddad). Sie ist das geheime Zentrum der Aufführung. Mit ihrem zwischen Koketterie und Sarkasmus changierenden Spieltrieb nimmt sie ihr „kleines (Revoluzzer-) Bienchen“ in die Mangel. Sie spannt ein gewaltiges hermeneutisches Zelt auf, das Verweise auf Politik als Spiel, das Theater als Spiel und sogar jedes Sozialverhalten als Spiel annonciert – mit der Maßgabe, jederzeit in den Ernst wechseln zu können. Ihr élan vital ist ideologischem Starrsinn weit überlegen, doch ihr spielerisches Spiegelkabinett erfordert ein Höchstmaß an Selbstvertrauen und Menschenkenntnis – über die Hugo nicht verfügt. So ist Jessica den Verlockungen Hoederers durchaus gewachsen, den Daniel Breitenfelder als hochgewachsenen feinsinnigen Menschenfänger mit strategischem Charme spielt.
Regisseur Marco Štorman lässt gelegentlich ein paar Fahnen von Fantasiestaaten und -unternehmen herunterfahren, zitiert Revoluzzer- und Parteiikonographie (Strategiedebatten, Bombenlegergetue, Schlägerattitüde) – das Cowboy- und Indianerspiel ist nie weit, wenn die Partei ernst macht. Und so ermordet Hugo allem ideologischen Briefing zum Trotz Hoederer letztlich doch eher aus Eifersucht als aus strategischen Gründen. Da der Zweck bekanntlich die Mittel heiligt, hat die Partei am Ende doch bekommen, was sie wollte.
„Die schmutzigen Hände“ | R: Marco Štorman | 22.4. 18 Uhr, 28.4. 19.30 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Endsieg für Ödipus
Elfriede Jelineks „Am Königsweg / Endsieg“ in Bonn – Prolog 01/25
Ausweg im Schlaf
„Der Nabel der Welt“ in Köln – Theater am Rhein 01/25
Körperbilder und Kampfgeist
„Die Hand ist ein einsamer Jäger“ am Theater Bonn
Im Land der Täter
„Fremd“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 12/24
Tatort: Altarbild
„Tosca“ am Theater Bonn
Kampf gegen Windmühlen
„Don Quijote“ am Theater Bonn – Prolog 11/24
Den Schmerz besiegen
„Treibgut des Erinnerns“ in Bonn – Theater am Rhein 07/24
„Wir können nicht immer nur schweigen!“
Jens Groß inszeniert Heinrich Bölls Roman „Frauen vor Flusslandschaft“ am Theater Bonn – Premiere 06/24
Geschlossene Gesellschaft
„Flight“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 01/24
Mörderische Gesellschaftsstruktur
Georg Büchners „Woyzeck“ am Bonner Schauspiel – Auftritt 01/24
Der unfassbare Gott
Oper Bonn zeigt Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ – Oper in NRW 12/23
„Ein interdisziplinäres großes Theaterhaus für die Stadt“
Die Dramaturgin Stawrula Panagiotaki übernimmt die Leitung der Studiobühne – Premiere 11/23
Licht in der Finsternis
„Brems:::Kraft“ in Köln und Mülheim a.d. Ruhr – Theater am Rhein 01/25
Klamauk und Trauer
„Die Brüder Löwenherz“ in Bonn – Theater am Rhein 01/25
Ein Bild von einem Mann
„Nachtland“ am Theater Tiefrot – Theater am Rhein 12/24
Fluch der Stille
„Ruhestörung“ am TdK – Theater am Rhein 12/24
Das Mensch
„Are you human“ am TiB – Theater am Rhein 12/24
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Bis der Himmel fällt
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 09/24
Feder statt Abrissbirne
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 07/24
Der Untergang
„Liquid“ von Wehr51 – Theater am Rhein 07/24
Gefährlicher Nonsens
Kabarettist Uli Masuth mit „Lügen und andere Wahrheiten“ in Köln – Theater am Rhein 07/24