Die NRW-Kommunalwahlen am Sonntag, den 13. September fallen, anders als zuvor, mit den Oberbürgermeisterwahlen zusammen. Bürgerinnen und Bürger haben so Gelegenheit, mit einem einzigen Urnengang über die Politik in der eigenen Stadt und im eigenen Bezirk mitzuentscheiden. Obendrein werden die Integrationsräte der Kommunen gewählt, die Migrantinnen und Migranten vertreten. Auch wenn viele Menschen in den letzten Monaten den Blick mehr auf globale Herausforderungen gerichtet haben, bleibt auch da immer die Frage, wie die Politik vor Ort mit ihnen umgeht.
Köln ist eine wachsende Kommune in einer Welt, die sich verändert. Gute Entscheidungen zu treffen, setzt daher auch voraus, ein Bewusstsein für die Chancen und Herausforderungen von morgen zu haben. Denn tatsächlich erwiesen sich nicht alle Entscheidungen, die in der Vergangenheit in Köln getroffen wurden, als zukunftstauglich. Die Wähler müssen sich dieselben Fragen stellen: An welche Zukunft glauben wir, was haben wir in Köln damit zu tun und wer hat einen geeigneten Plan? Dabei mag es um die tägliche Lebensqualität in der Stadt gehen, um ausreichende Kapazitäten in Bereichen wie Wohnen, Gesundheit und Bildung, um das Erreichen von Klimaschutzzielen und um den Umgang mit Pandemien.
Die Kommunalwahl in Köln bestimmt für fünf Jahre die Zusammensetzung des Rates der Stadt Köln und (per Listenwahl) der Bezirksvertretungen der neun Stadtbezirke – nicht zu verwechseln mit den darin zusammengefassten Stadtvierteln. Historisch gesehen lieferten sich CDU und SPD in Köln ein Kopf-an-Kopf-Rennen, daneben sind Grüne (seit 1984) und FDP traditionell wichtige Kräfte. Insbesondere seit 2004 schafften es zudem vermehrt neue Parteien und Wählergruppen ins Rathaus, darunter KPD, Piraten, Freie Wähler Köln, Deine Freunde, AfD und Pro Köln. Der Rat tagt öffentlich und bildet zudem Ausschüsse und Gremien, die sich eingehend mit Themen wie Jugend oder Verkehr befassen.
Auch die Oberbürgermeister sind fünf Jahre im Amt. 2015 wurde die von mehreren Parteien unterstützte Henriette Reker gewählt. Sie ist als Oberbürgermeisterin Vorsitzende des Rates, Leiterin der Stadtverwaltung und Repräsentantin der Stadt. Bei der OB-Wahl zählt nur, wer die meisten Stimmen erhält, die anderen haben „verloren“. Sich vorher ein Bild davon zu machen, welche Kandidaten realistische Chancen auf ein zweistelliges Ergebnis haben, kann im Zweifel sinnvoll sein. Erreicht allerdings niemand 50 Prozent, findet am 27.9. eine Stichwahl statt – das Verfassungsgericht hat gesprochen. Neben der Oberbürgermeisterin gibt es noch ihre vom Rat gewählten Stellvertreter (Bürgermeister) sowie die Bezirksbürgermeister.
„Wir brauchen dringend mehr bezahlbaren Wohnraum“ – OB Henriette Reker
Oberbürgermeisterin Henriette Reker (63, parteilos) kandidiert für eine zweite Amtszeit und konkurriert diesmal mit 12 weiteren Bewerbern und Bewerberinnen. Auf Kölner Defizite angesprochen, weist Reker auf ein breites Spektrum an Herausforderungen hin, bei denen das Wohnen ganz oben steht. „Köln ist eine Stadt des sozialen Zusammenhalts, wir brauchen jedoch dringend mehr bezahlbaren Wohnraum“, erklärt Sie in einem Antwortschreiben an choices. „Die Devise lautet daher: bauen! Mit der Parkstadt Süd, dem Deutzer Hafen und ‚Kreuzfeld‘ werden ganz neue Stadtteile entstehen und das kooperative Baulandmodell verpflichtet bei Großprojekten, 30 Prozent der Wohnungen öffentlich gefördert zu errichten und mit einer Mietpreisbindung günstiger zu vermieten.“
Um für ihre Anliegen Unterstützung zu finden, ist ihr wichtig, dass Köln sich mehr als eine moderne Metropole versteht. „Ich will in den nächsten fünf Jahren weiter dafür arbeiten, dass wir in Sachen Digitalisierung Vorreiter bleiben, Bildung und Medizin auf Spitzenniveau ermöglichen, Pionier im Klimaschutz werden, mit einer modernen Mobilität und einem 365-Euro-Jahresticket für die KVB vorweggehen und uns zu einer Metropole weiterentwickeln, die für Innovationen, Vielfalt und wirtschaftliche Stärke steht.“
„Schnellere und entschlossenere Umsetzung von Beschlüssen“ – Brigitta von Bülow (B90/Grüne)
Im Kölner Rat hat Reker die Unterstützung von CDU und Grünen, die sie wie schon 2014 gemeinsam nominiert haben, ohne selbst ganz miteinander im Reinen zu sein. Thor Zimmermann, Kandidat der Ratsgruppe „Gut“, spricht daher gegenüber choices von einer „Blockade“ durch Schwarz-Grün und beklagt „Minimal-Kompromisse der beiden“ in Sachen Umwelt- und Klimaschutz: „Seit Jahren liegt Mehltau über unserer Stadt.“ Viele Bürger seien da weiter: „Es wird Zeit, dass dieses große progressive Potential in der Bürgerschaft auch die Mehrheit im Rat bildet – und an der Stadtspitze.“
Abgesehen von ihren Kernthemen Umwelt und Soziales wollen die Grünen in vieler Hinsicht die für die gemeinsamen Vorhaben nötigen Prozesse verbessern. So will sich Brigitta von Bülow, Fraktionsvorsitzende von B 90/Die Grünen im Rat, für eine „schnellere und entschlossenere Umsetzung von Beschlüssen“ und ein „besseres Planen, besseres Controlling“ stark machen. Ein Umsetzungsstau bei bereits beschlossenen Maßnahmen werde begleitet von „Hiobsbotschaften über große Baumaßnahmen in der Stadt – Kosten- und Zeitrahmen werden über die Maßen gesprengt“, so von Bülow gegenüber choices.
„Seit Jahren liegt Mehltau über unserer Stadt“ – Thor Zimmermann (Gut)
Grüne Schwerpunkte darüber hinaus sind weiterhin eine klimagerechte Stadtplanung und Verkehrsplanung einschließlich eines weiteren Ausbaus des ÖPNV. Thor Zimmermann (54, Gut) vermisst allerdings trotz des grünen Einflusses bisher eine „konsequente Transformation Kölns, etwa in Verkehrsfragen Richtung Kopenhagen“.
Die CDU als die andere Unterstützerin Rekers steht traditionell eher für Wirtschaftsthemen. Während die Grünen etwa die Versiegelung von Flächen beklagt, drängt die CDU auf ein „Mehr an Gewerbeflächen, Digitalisierung und Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, aber einem Weniger an Bürokratie“ (Bernd Petelkau, Webseite CDU Köln). Beim Streit etwa um die überlastete Ost-West-Achse, bekanntlich das „Herzstück der KVB“, solle der Innenstadt mit einem Tunnel zwischen Heumarkt und Aachener Weiher geholfen werden – was FDP und SPD ganz ähnlich sehen. Dies bringe, zusammen mit einer Tunnellösung für die Nord-Süd-Fahrt, eine „neue Aufenthaltsqualität“ (Niklas Kienitz, Webseite CDU Köln).
Andere Parteien bevorzugen oberirdische Lösungen, die sich schneller umsetzen lassen. „Ein Ost-West-Tunnel bedeutet auf Jahre Stillstand und Behinderungen für den ÖPNV“, meint Michael Weisenstein von den Linken. Auch den Grünen sind Tunnel mitten in der Innenstadt zu teuer – besonders im Vergleich zu einem „guten Radwegenetz mit Radschnellwegen und breiteren Radstreifen“(von Bülow). Man wolle schließlich „mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben“, wie das aktuelle Motto lautet. Die Ratsgruppe Gut führt auf ihrer Webseite ein kritisches Dossier zur Ost-West-Achse, dort wird auch grundsätzlich mal gefragt: „Kann Köln U‑Bahn?“ Henriette Reker würde es mit ihrer These von der modernen Metropole sicher bejahen und hat sich von Anfang an für einen Tunnel ausgesprochen.
„Digitalisierung nutzen, um eine soziale gerechte Stadtgesellschaft zu gestalten“ – Andreas Kossiski (SPD)
Die Kölner SPD schickt mit wirtschaftlichen und sozialen Schwerpunkten Rekers vielleicht chancenreichsten Herausforderer ins Rennen. Andreas Kossiski (62) versucht u.a. mit Digialisierungskonzepten wie einem „Masterplan Smart City Köln“ und einem „Kölschen Amazon“ sowie mit sozialen Themen wie einem 500-Millionen-Euro-Wohnungsbaufonds oder gebührenfreien Kitas zu punkten. Er fordert neben mehr Tarifbindung einen Mindestlohn von 12 Euro – schneller als die Bundes-SPD. „Hier werde ich als Oberbürgermeister meine Erfahrung als Gewerkschafter einbringen“, schreibt er in seinem Blog.
Auch die Verwaltung will er reformieren, nachdem die Oberbürgermeisterin im März schon von Erfolgen sprach und „den Weg zur modernsten Verwaltung Deutschlands“ weitergehen will. Kossiski will ebenfalls ein „modernes, digitales und innovatives Arbeiten“ in der Stadtverwaltung erreichen und dies mit einem Innovationshub und Weiterbildungsprogrammen ermöglichen.
„Köln muss weiblicher werden!“ – OB Henriette Reker
Unter den OB-Kandidaten finden sich jedes Mal mehr Frauen: Diesmal handelt es sich neben Henriette Reker um Nicolin Gabrysch von Klima Freunde, Einzelbewerberin Sabine Neumeyer und Dagmer Langel von Wir sind Köln. Für Reker ist das nur der Anfang: „Köln muss weiblicher werden! Ich werde mich, wo immer sich Möglichkeiten ergeben, für eine echte Gleichstellung einsetzen: in der Politik, der Verwaltung, der Wirtschaft und im Karneval.“
Stellenwert von Kultur
Eine echte Stärke Kölns sieht Thor Zimmermann (Gut) in Kölns Kulturszene, „getragen von einer großen freien Szene, die seit Jahrzehnten ein beachtens- und dankenswertes Engagement an den Tag legt“, auch wenn der Kulturbereich insgesamt „nur noch vom Glanz vergangener Tage“ zehre: „Freuen würde ich mich hier und da über mehr ProtagonistInnen mit Strahlkraft, wir brauchen wieder mehr ‚Typen‘ vom Schlage einer Karin Beier oder eines Kasper König.“
Da in der Coronakrise viele Kulturstätten existentiell bedroht sind, spricht sich von Bülow unter anderem für „einen Rettungsschirm für Kultur und Clubs“ aus. Auch für Henriette Reker ist es keine Frage, dass Kultur in Köln einen hohen politischen Stellenwert verdient: „Wer in Köln lebt, erwartet zu Recht ein hochwertiges kulturelles Angebot, deshalb habe ich die Förderungen sowohl für die Kulturinstitutionen als auch für die freie Szene stark erhöht und werde mich hier weiter einsetzen.“
Integrationsratswahl
Die Integrationsräte der Kommunen sind die demokratisch legitimierte Vertretung aller Migrantinnen und Migranten. Auch die Arbeit dieser Räte ist extrem wichtig geworden. Der Anteil an Einwohnern mit Migrationshintergrund beträgt in Köln 40 Prozent (2019), unter Kindern und Jugendlichen sind es 59 Prozent. Migrantenvertreter werden direkt gewählt und arbeiten im Integrationsrat mit Vertretern des Stadtrates zusammen, um die Interessen von Migranten in Institutionen und Einrichtungen zu vertreten.
Wer wählt, entscheidet mit! Neben der Urnenwahl in den Wahlbezirken sind auch Briefwahl und Direktwahl (vorzeitige Stimmabgabe bis 11.9.) möglich, wenn man während der Pandemie keine Risiken eingehen möchte.
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