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Bürgerlichkeit trifft Business?
Foto: Mira Moroz

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29. November 2012

Es weihnachtet – wunderbar kölsch und nicht anders – THEMA 12/12 O DU FRÖHLICHE

Alle Jahre wieder fällt die Stadt in eine eigenartige Trance. Auf bunt geschmückten Plätzen bilden sich rund um thekenähnliche Stände kleine Grüppchen und sprechen alkoholischen Getränken zu. Die Stimmung ist heiter, oft besinnlich, öfter feucht-fröhlich. Manchmal wird ein wenig geschunkelt. Marie-Luise Nikuta und Ludwig Debus sind zu hören, auch die Höhner, die Paveier und die Rabaue, Renate Fuchs und Et Klimpermännchen,King Size Dick, die Bläck Fööss, sogar Brings oder Elke Schlimbach. Sie alle besingen gekonnt und oft „das schönste Fest des Jahres“. Nein, es geht nicht um Karneval. Aktuell gilt der Superlativ der jetzt angesagten Weihnachtszick: „Chreskindje, mer bruche dich!“ Ein Stoßseufzer, der auch dem Kölner Einzelhandel nicht fremd sein dürfte. Denn ohne das Weihnachtsgeschäft sähe es in manchen Kassen übers Jahr nicht so gut aus. Doch wird man dem Fest gerecht, wenn man es auf die „tümelnde“ alte und neue Bürgerlichkeit nebst Business reduziert?

Fasset euch, egal wohin
Wenn im Spätsommer in den Läden wieder Lebkuchen und Spekulatius auftauchen, ahnen wir bereits: Das christliche Abendland lebt. Passend zum gewohnt frühen Auftauchen des einstigen Weihnachtsgebäcks ging es dieses Jahr auch in der veröffentlichten Meinung schon um Besinnliches. Konservativ-klerikale Feuilletonisten wie Martin Mosebach oder Matthias Matussek warfen sich für die Gleichberechtigung religiöser Gefühle in die Bresche. Wer üble Nachrede gegen Gott betrieb, sollte verstärkt von der weltlichen Justiz belangt werden. Im Gegenzug warben Salafisten mit dem Slogan „Lies“ für den unsterblichen Koran und das Gottesgericht (was ein nicht der deutschen Sprache mächtiger englischer Besucher als Aufruf zum „Lügen“ missverstand). Und dann erst die Beschneidungsdebatte! Bisher kaum bekannt: Es gibt hier einen direkten Link zum Chreskindje. Denn als Kind frommer Juden wurde Jesus beschnitten. Seine abgetrennte Vorhaut galt Katholiken über Jahrhunderte als Mutter aller Reliquien. Das Stückchen war auf der Erde verblieben und greifbar, während der restliche Gottessohn in den Himmel aufgefahren war. Kaum ins Gewicht fiel, dass die heilige Haut – wie bei Reliquien üblich – gleich an mehreren Orten auftauchte und später überall aus ungeklärten Ursachen wieder verschwand – das wiederum war unüblich. Im 17. Jahrhundert will der damalige Kurator der Vatikanischen Bibliothek immerhin eine Haut-Inkarnation am Saturn entdeckt haben. Sie umschloss angeblich den Planeten ringförmig. Nichtgläubige nehmen hier meist nur die Saturnringe wahr. Überhaupt: In letzter Zeit konstatieren unabhängige empirische Analysen einen schleichenden Abbau der „Wunderhäufigkeit“ – bei einem zeitgleichen überproportionalen Anstieg der Zahl der Heiligen. Irgendwie passt das nicht zusammen. Aber weiß man es?

Geben wie Nehmen macht selig
Doch zurück zum Fest. Die Kritik daran ist üblich und unübersehbar. Schon Heinrich Böll machte sich über den Weihnachtsbaum und die damit verbundenen Rituale („Frieden, Frieden“) lustig. Loriot ließ seine Familie Hoppenstedt einschlägige Gebräuche bei Marschmusik, Super-GAU en miniature und Verpackungsmüll dekonstruieren. Alles im wahrsten Sinne des Wortes geschenkt. Den frommen Gaben am Weihnachtsabend wird man mit derlei Angriffen nicht gerecht. Gerade in Zeiten, da „die Märkte“ immer wieder als alles überragende Instanz beschworen werden, gilt es, sich auf den wirklichen Kern des Schenkens zu besinnen. Hier geht es nicht um den direkten Tausch von Ware gegen Geld, sondern um kompliziertere Beziehungsgeflechte, die über den Markt allein nie gestiftet werden könnten. Zum Schenken gehört auch die Geste, der unauffällige Wunsch nach einer länger andauernden Beziehung. Ohne ein solches Geben und Nehmen, das nicht auf die direkte Verrechnung setzt, kann eine Gesellschaft gar nicht existieren, meinen viele Wissenschaftler. Schenken ist freilich keineswegs selbstlos, auch wenn wir uns das immer wieder einreden. Es gibt eine „doppelte Wahrheit der Gabe“, so der Soziologe Pierre Bourdieu. Jeder meint, aus uneigennützigen Motiven zu handeln, doch es geht objektiv gesehen immer auch um persönliche Vorteile. Der Beschenkte sollte sich – in jedem Fall – zur Dankbarkeit verpflichtet fühlen, von anderen wechselseitigen Verpflichtungen ganz zu schweigen. Und wehe, wenn dem Geschenk kein Gegengeschenk folgt. Das könnte glatt als Zurückweisung oder sogar als Kriegserklärung interpretiert werden. Die Folgen wären unkalkulierbar. Kurz zusammengefasst: Die reine Gabe ohne Hintergedanken ist mehr als selten.

Wir staunen. Das alles kommt uns bekannt vor. Wie war das doch gleich mit dem kölschen Klüngel? Laut Wikipedia – da ist Widerspruch ausgeschlossen – gilt Klüngel „mittlerweile auch im allgemeinen Sprachgebrauch“ als „ein System auf Gegenseitigkeit beruhender Hilfeleistungen und Gefälligkeiten“. Das kann „zur Vermischung von gesellschaftlichen, politischen und industriellen Interessen führen“. Die übliche Korruption einmal bei Seite gelassen, ist Klüngel im „Alltagsgebrauch im Kölner Raum positiv besetzt, im Sinne von ‚eine Hand wäscht die andere‘, ‚Man kennt sich, man hilft sich‘, ‚über Beziehungen verfügen‘ oder netzwerken bzw. ‚vernetzt sein‘“. Da fügt sich doch alles zusammen. Weihnacht, Karneval, Klüngel – alles miteinander verbunden. Das beruhigt. Das kennen wir. Grund genug, die heimliche Hymne anzustimmen: „Drink doch eene mit“. Egal zu welcher Jahreszeit.

Wolfgang Hippe

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