Pünktlich zur Gamescom befindet sich auch das Museum für Angewandte Kunst „Im Spielrausch“. Die Besonderheit der Ausstellung liegt dabei sicherlich in ihrem breiten Spielbegriff, der dieser Zusammenstellung zugrunde liegt. Die Kooperationspartner vom Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln zeigen mit ihrer Ausstellung mit dem Untertitel „von Königinnen, Pixelmonstern und Drachentötern“ bereits ihre dritte Ausstellung im MAKK. Gleich vier Experten auf dem Gebiet des Theaters, des Computerspiels und der Medienkunst treten als Kuratoren auf, außerdem entstammt ein großer Teil der ausgestellten Exponate der großen institutseigenen theaterwissenschaftlichen Sammlung.
Gleich am Eingang beginnt die Transformation: eine Voraussetzung des Spiels, in eine andere Rolle zu schlüpfen – sei es durch Masken im Mittelalter oder durch die Avatare der Games, die auch mal die Form eines Baums oder eines roten Rechtecks annehmen können. Es ist der erste von sechs thematisch gegliederten Räumen, die hier „Level“ genannt werden. Der Raum des Spiels nimmt gleich zwei Level ein, die den Weltenbau und die Bewegung ins Zentrum rücken. Aufwändige Theaterkulissen sind in Miniaturen zu sehen, sogar ein Modell der Osterspielbühne Luzerns. Doch wie stellt man daneben Computerspiele adäquat in einem Museum aus, wenn auf die Games selbst verzichtet wird?
Denn ein „Spieleparcours“ sollte vermieden werden, wie Kurator Prof. Peter Marx erklärt. „Das Ziel ist ein gemeinsames Nachdenken über Spiele.“ Die Games werden also abwechselnd durch Screenshots, also Fotografien einzelner Szenen repräsentiert, durch zusammengeschnittene Spielausschnitte als Videopräsentation oder eben, in nur einem Fall und ganz am Ende, durch das Spiel selbst. Das ist manchmal ausreichend, wie bei den Auswahlbildschirmen der Avatare, aber manchmal auch nicht, wie bei der Kartenansicht von „Assassin‘s Creed“ (2007), die neben dem kartenähnlichen Brettspiel „Scotland Yard“ (1983) hängt. Dass im Spiel die ständig verfügbare Verknüpfung von Kartenübersicht und 3D-Simulation einen völlig neuen „Weltenbau“ erlebbar macht, ist durch ein einfaches Foto nicht nachvollziehbar. Gleichzeitig will man als Besucher aber tatsächlich auch nicht einem völlig unbekannten Game ausgesetzt werden, weil man davon in der kurzen Zeit einfach nichts hat. Theoretisch könnte dieses Dilemma durch gezielte Modifikationen der Games gelöst werden, in denen genau die Interaktionen erlaubt sind, auf die es ankommt – praktisch aber wäre das ein immenser Aufwand.
Die spannendsten Räume zeigen die Wechselwirkung von Spiel und Gesellschaft. Das im Level „Macht und Abstraktion“ aufgebaute „Hellwig'sche Kriegsspiel“ (1780) sollte Kinder im Üben der Kriegskunst unterstützen, auch Zinnsoldaten und Papierarmeen fanden früh den Weg in die Spielzimmer, „eine Form der intellektuellen Mobilmachung“, so Marx. Das Computerspiel kann dagegen eine so abstrakte Darstellung des Kriegsaktes anbieten, dass moralische Bedenken kaum aufkommen. Ein Phänomen, das sich im Drohnenkrieg dann ja auch in die Wirklichkeit fortsetzt. Ähnlich wie die Barbiepuppe stereotype Geschlechterrollen festigt, offenbaren auch klassische Brettspiele wie das „Spiel des Lebens“ (1960) bei genauem Betrachten seltsame Lebensvorstellungen, in denen „die stetige Anhäufung von Kindern und Geld“ (Kurator Philipp Bojahr) zu Traumhaus und Sieg führen, während der Unterlegene in einer heruntergekommenen Seniorenanlage landet.
Neben den historischen Exponaten sind auch einige (mediale) Kunstwerke zu sehen, wie die Videoinstallationen von Thomas Hawranke. Der Medienkünstler modifiziert Spielwelten bekannter Games wie die des Shooters „Half-Life 4“ auf einfache, aber wirkungsvolle Weise: Eine große Ansammlung von virtuellen Tigern an einem Ort zeigt das einprogrammierte Verhalten der Tiere viel deutlicher und entlarvt es als ständige Abfolge derselben Bewegungen, die sonst für den großen Realismus dieser virtuellen Welt erst sorgen.
Die riesige Welt des Spiels beleuchtet die Ausstellung, obwohl sie eher klein und überschaubar daher kommt. Sie arbeitet vor allem mit Gegensätzen, was sogar die sonst kaum gemeinsam gedachten Medien Theater und Computerspiel zueinander bringt. Beim Besucher öffnen sich Leerstellen, die selbst gefüllt werden wollen. Für eine universitär kuratierte Ausstellung zeigt sich auffallend wenig Wissenschaft. Vor Definitionen braucht man sich hier nicht zu fürchten, die theoretische Hilfe steckt dann im schicken Katalog. Vor Ort kann man sich noch mit einer WhatsApp-Führung informieren lassen. Deren Inhalte sind von Studierenden zusammengestellt, werden von einem Chatbot ausgeliefert und können auch zuhause noch abgerufen werden.
„Im Spielrausch – Von Königinnen, Pixelmonstern und Drachentötern“ | bis 4.2.2018 | Di-So 11-17 | Museum für Angewandte Kunst | www.makk.de
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