An der Unwirtlichkeit der Städte hat sich nicht wirklich etwas getan. Seit der Analyse Alexander Mitscherlichs Mitte der 1960er in Frankfurt und dem Bezug seiner Wohnung im 19-stöckigen Hochhaus haben sich die Parameter immer weiter verschoben, die Flucht in die Peripherie gehorcht auch monetären Strukturen durch irrsinnige Immobilienrenditen. Harald Naegeli, Urvater der europäischen Sprayer-Kultur und einst nächtlicher, anarchischer Zeichner auf Züricher Fassaden, blieb grandioser, sinnlicher „Effekt-Hascher“ mit wenigen Strichen, er ging dafür in den Knast und zu Recht in die Kunstgeschichte ein. Er ist 77 Jahre alt und natürlich kein bisschen weiser geworden, immer noch geistert der Wahl-Düsseldorfer durch die Republik, mit feinen Linien auf Papier. Irgendwie sind die Häuser-Wände auch nicht mehr so richtig frei genug für seine eher stille Bildsprache.
Ende Oktober logiert der Schweizer Künstler im Kölner Müllkunsthotel „Save the World“ von HA Schult, ist mit seiner Ausstellung „Unwirtlichkeit der Städte“ in derKulturkirche Ost Teil der Kampagne des Müllmenschen-Tausendsassas. Für Naegeli, den überzeugten Kurt-Schwitters-Fan, ist das natürlich kein Hindernis. Für seine „Wolkenbilder“, die er in meditativer Ruhe angeht, hat er den schnellen Strich der revolutionären Jahre über Bord geworfen, obschon Motive, Linienführung oft an die skurrilen Lebewesen an den „geadelten“ Ecken europäischer Städte erinnern – viele derer, die damals mit Putzlappen und Seife die Farbe vom „Sprayer von Zürich“ entfernt haben, dürften sich heute ärgern. Ein paar übrig gebliebene sind längst unter Schutz gestellt.
Mit HA Schults Werk verbinden ihn sicher auch die besonderen Formen der Figürlichkeit und der immerwährende Protest. Illegal arbeiten die beiden längst nicht mehr, in Köln setzen sie sich für ein menschenwürdiges Zuhause für Wohnungslose und Flüchtlinge ein, die mit Studenten und Künstlern unter einem Dach leben möchten. Casa Colonia nennt sich das Haus, in dem ein Bistro als Integrationsbetrieb geführt werden soll. Naegelis Benefiz-Ausstellung soll mithelfen, die Euros dafür zusammenzubringen.
Harald Naegeli: „Unwirtlichkeit der Städte“ | 27.10.-10.11., Di-Sa 17-20 Uhr | Kulturkirche Ost, Köln-Buchforst | Eintritt frei
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Dreieck voller Eindrücke
Kultur-Schauraum Kulturkirche Ost – das Besondere 10/18
Kunst gegen Bulldozer
Fotograf Joseph Kiblitsky zeigt in der Kulturkirche Ost Impressionen aus Russland
Am Anfang ist der Faden
Sabine Hack in der Kulturkirche Ost – Kunst 04/18
Kunst und Soziales
Bertamaria Reetz in der Kulturkirche Ost – Kunst 03/18
Aus der Urzeit der Straßenkunst
Harald Naegeli in der Kulturkirche Ost – Kunst 11/17
Spenden für die eigene Sammlung
HA Schult macht in Köln aus Müll Architektur – das Besondere 09/17
Weltkunst in Buchforst
Architektonisches Kirchenjuwel auf Kölns „Schäl Sick“ – Kulturporträt 07/17
Keiner kommt unverletzt davon
Oliver Jordan zeigt seine Porträts von Heinrich Böll und Albert Camus – Kunst 06/17
Bilder als Akt der Revolte
„Augenblicke – Hommage an Heinrich Böll“ von Oliver Jordan in der Kulturkirche Ost – Kunst 06/17
HA Schult, das Arschloch
Benefizausstellung „Hotel Europa“ von HA Schult in der Kulturkirche Ost – Kunst 01/17
Mit Farben, Formen, Fantasien spielen
Inspirierende Ausstellung von Manfred Mays in der Kulturkirche Ost – Kunst 11/16
Vorwärts Richtung Endzeit
Marcel Odenbach in der Galerie Gisela Capitain – Kunst 11/24
Mit dem Surrealismus verbündet
Alberto Giacometti im Max Ernst Museum Brühl des LVR – kunst & gut 11/24
Außerordentlich weicher Herbst
Drei Ausstellungen in Kölner Galerien schauen zurück – Galerie 11/24
Fragil gewebte Erinnerungen
„We are not carpets“ im RJM – Kunst 10/24
Geschichten in den Trümmern
Jenny Michel in der Villa Zanders in Bergisch Gladbach – kunst & gut 10/24
Ein Himmel voller Bäume
Kathleen Jacobs in der Galerie Karsten Greve – Kunst 09/24
Leben/Macht/Angst
„Not Afraid of Art“ in der ADKDW – Kunst 09/24
Lebenswünsche
„Körperwelten & Der Zyklus des Lebens“ in Köln – Kunst 09/24
Die Freiheit ist feminin
„Antifeminismus“ im NS-Dokumentationszentrum – Kunstwandel 09/24
Atem unserer Lungen
„Body Manoeuvres“ im Skulpturenpark – kunst & gut 09/24
Die Absurdität der Ewigkeit
Jann Höfer und Martin Lamberty in der Galerie Freiraum – Kunstwandel 08/24
Vor 1965
Marcel van Eeden im Museum Schloss Morsbroich in Leverkusen – kunst & gut 08/24
Atem formt Zeit
Alberta Whittle in der Temporary Gallery – Kunst 07/24
Niemals gleich
Roni Horn im Museum Ludwig – kunst & gut 07/24