In Köln ist man ebenso tolerant wie arrogant. Gerne hat man die Welt bei sich zu Gast, aber wer nicht in der Stadt geboren ist, dem droht auch nach Jahren noch noch die Bezeichnung des „Imi“ – also des imitierten Kölners. Was zählt, ist das Geburtsrecht und dann schaut man, auf welcher Seite des Rheins jemand lebt. Im alten linksrheinischen Köln oder im rechtsrheinischen Teil, dessen Entwicklung um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert rasant Fahrt aufnahm. Er bescherte der Domstadt große Agrarflächen und jene verarbeitende Industrie, die die Stadt reich machte. Dort, auf der „Schäl Sick“ – also der schielenden oder blinden Seite des Stadtgesichts – liegt Buchforst, eines der am meisten unterschätzten Viertel der Stadt. Wilhelm Riphahn, dessen architektonische Entwürfe für das Opernhaus und die Hahnenstraße das Antlitz Kölns nach dem Krieg prägten, baute hier in den späten 20er Jahren seine Weiße Stadt, eine elegante Wohnsiedlung im Stil des Bauhauses. Heute noch erzählt die Waldecker Straße, die verkehrstechnische Schlagader des Stadtteils, mit den Glasfassaden ihrer Ladengeschäfte von den großzügigen Gestaltungsideen jener Zeit. Zwischen Siedlungs- und Einfamilienhäusern findet sich auch die Auferstehungskirche, ein Gotteshaus, das für die vielen evangelischen Heimatvertriebenen errichtet wurde, die sich in Buchforst angesiedelt hatten. Eine der interessantesten modernen Kirchen der an Sakralbauten überaus reich bestückten Kölner Stadtlandschaft.
Der Grundriss beruht auf einem Dreieck, der Altar befindet sich im spitzen Winkel, sodass auf natürliche Weise alle Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet ist. Obwohl die Kirche an den Seiten keine Fenster besitzt und das Licht nur vom Dach einfällt, ist der Raum hell und so angenehm in seinen Proportionen, dass man sich sofort in ihm wohl fühlt. Das mag auch an den wenigen aber perfekt gestalteten Details wie den Leuchten und den Holzbänken liegen. Vor dem Eingangsportal befindet sich ein Platz, der geschickt von der Straße abgewandt konzipiert wurde. Hier zu sitzen, oder sich mit Freunden zu treffen, beruhigt Körper und Seele.
2007 hat die Evangelische Kirche die Anlage, die 1965 vom Architektenduo Rasch und Wolsky in seiner ganzen Genialität entworfen wurde, an die GAG Immobilien AG abgegeben. Für knapp 700.000 Euro renovierte man das Gebäude und bespielt es nun als Kulturkirche, in der am Sonntag oder an den Feiertagen Weihnachten und Ostern Gottesdienste abgehalten werden. Ansonsten spielen hier auch schon einmal Kasalla ihren wuchtigen Kölsch-Rock. Nicht so laut geht es bei Treffen des Verbandes der Schriftsteller (VS) zu. Auch ein Seniorennachmittag gehört zum Programmangebot. Es gibt wenige Veranstaltungsräume in Köln, in denen so virtuos zwischen Nähe und Distanz gewechselt werden kann. Bei den Lesungen des Krimifestivals etwa spürt man die Intimität der Atmosphäre, in der es den Autoren leicht fällt, den Dialog mit dem Publikum aufzunehmen.
Seit fast fünf Jahren organisiert Dirk Kästel das Programm der Kulturkirche Ost mit etwa 30 Veranstaltungen im Jahr. Im Bereich der Gegenwartskunst präsentiert er in Buchforst Namen, nach denen sich jedes Museum in Deutschland strecken würde. Hier wurden Arbeiten von Gerhard Richter, Markus Lüppertz, Christo, Rosemarie Trockel oder A.R. Penck ausgestellt. Als Kästel im letzten Jahr Klaus Staeck kontaktierte, setzte der sich in Heidelberg sogleich in sein Auto, um die Kulturkirche in Augenschein zu nehmen. Oliver Jordan entwickelte gar eine Werkreihe mit Porträts von Heinrich Böll aus Anlass von dessen 100. Geburtstag für den Kirchenraum. Was zieht diese Maler so unwiderstehlich an diesen dem großen Publikum weitgehend unbekannten Ort?
Die Persönlichkeit des großgewachsenen, in seinen Bewegungen gelassen agierenden Kästel mag durchaus eine Rolle spielen. Mit großer Leidenschaft treibt er die Aktion Casa Colonia an, die ein menschenwürdiges Zuhause für Wohnungslose und Flüchtlinge schaffen will, indem sie mit Studenten und Künstlern unter einem Dach leben werden. „Ein solches Objekt wird an die drei Millionen Euro kosten“, erklärt Kästel. „Nur ein Haus in zentraler Lage kommt dafür in Frage.“ Tatsächlich hat er schon einen Blick auf ein geeignetes Objekt geworfen, Näheres will er aber noch nicht verraten. Dort kann gewohnt und gearbeitet werden. „Und die Kunst, am Haus, vor dem Haus und im Haus spielt für uns immer eine Rolle“, erklärt er. Staecks Postkarten- und Plakaterlöse flossen ebenso in diese Aktion wie zwei Drittel der Erlöse vom Verkauf der Ölbilder von Jordan. Mit der Versteigerung einer Arbeit, die Richter zur Verfügung stellte, nahm man auf Anhieb 48.000 Euro ein. Elitäre Ausrichtungen bei der Programmplanung sind Kästel vollkommen fremd. Deshalb präsentiert er zwischen den Stars der Kunstszene auch junge oder kaum bekannte Maler. Buchforst ist auch in Zukunft einen Besuch wert, so will sich Dirk Kästel darum bemühen, Arbeiten des Schweizers Harald Nägeli zu zeigen, dem Vater aller Sprayer. Auch Felix Droese, einen der bedeutendsten Deutschen Maler mit explizit politischen Sujets möchte er für die Kulturkirche gewinnen.
Kulturkirche Ost | Kopernikusstr. 34, Köln-Buchforst | www.gag-koeln.de
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