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Mutierte Vergangenheit

24. September 2015

Erinnerung, Geschichtsschreibung und Alltagsbegleitung im Comic – ComicKultur 10/15

Mit „Zuckerschädel“ vollendet Charles Burns seine Trilogie um den heranwachsenden Doug, die bereits mit „X“ und „Die Kolonie“ in eine abgründige Welt aus mutierten Wesen und sozialen Deformationen führte – einerseits. Denn auf der ersten Handlungsebene handelt die Geschichte von einem ganz normalen Jugendlichen, der Ende der 70er Jahre zwischen Kunstambitionen, Liebesleid und dem Soundtrack von Postpunk in Kalifornien heranwächst. Er lernt Sarah kennen, gerät in einen Strudel von Gewalt und müsste nun Verantwortung zeigen. Wie Doug in den kommenden Jahren mit seiner Vergangenheit umgeht und wie ihn die Geschichte seiner Eltern begleitet schildert Burns in komplex verwobenen Erzählebenen, die immer wieder in Dougs Alpträumen gespiegelt wird. Die neue Trilogie steht seinem allegorischen Opus Magnum „Black Hole“ in nichts nach – ein Meisterwerk über ‚teenage angst‘ (Reprodukt). Zweifelsohne gilt Hugo Pratts langlebige Serie „Corto Maltese“ als Comic-Klassiker und Mitbegründer des Comicromans. Die Qualitäten der Abenteurgeschichten um den titelgebenden Pirat im frühen 20. Jahrhundert sind jedoch auf den ersten Blick nicht unbedingt präsent: Eine merkwürdige Einführung der Figur, sein zwielichtiges Wesen, eine undurchsichtige Story. Doch mehr und mehr wird Pratts ungewöhnliche Perspektive zur Qualität, werden die Ambiguitäten spannender Teil der Geschichte, so wie sich überraschend auch Humor in die z.T. brutale Story einschleicht. Pratt erzählt unscheinbar vielschichtig und seine grafische Genauigkeit mündet mitunter ebenso beiläufig in erstaunliche zeichnerische Manierismen, die direkt zu „Sin City“ führen. Die mit langem Atem konzipierte Reihe erscheint in aufwändigen Hardcover-Bänden, jeweils als colorierte und als original-schwarzweiße „Klassiker Edition“ (Schreiber & Leser).

Tagesspiegel-Redakteur Lars von Törne hat sich in den letzten zehn Jahren mit redaktionellen Formaten und der Installation einer Sonntagsseite mit Comicstrips um die hiesige Szene verdient gemacht. Die Strip-Seite wird seit Jahren von Arne Bellstorf (inzwischen ersetzt durch Olivia Vieweg), Tim Dinter, Mawil und Flix im Wechsel bespielt. Die beiden Letzteren sind die Stars der Szene und legen nun zeitgleich ihre Tagesspiegel-Strips als Sammlung in Buchform vor. Mawils „The Singles Collection“ erzählt pointiert aus Mawils Leben, geht mit seinen Supa-Hasi-Stories aber auch komplett in die Fiktion. Die stilistische Bandbreite seiner Strips in diesem Album im Plattencover-Format ist schier beeindruckend (Reprodukt). Flix‘ „Schöne Töchter“, im selben Format wie Mawils Album veröffentlicht, kreist vor allem um Liebesfragen, findet aber mit jeder Geschichte nicht nur einen neuen Aspekt des immer gleichen Themas, sondern auch eine jeweils kluge grafische Art der Umsetzung (Carlsen). Es ist wirklich bemerkenswert, mit welcher Produktivität fern jeglicher Redundanz die beiden in ihren privaten Kosmen kreisen und dabei zugleich die große Welt mit hinein nehmen.

Das Comic-Magazin Strapazin widmet sich in seiner 120. Ausgabe vom September 2015 der Geschichte der französischen Satiremagazine Hara-Kiri und Charlie Hebdo. Das Magazin – selber von den Franzosen beeinflusst – liefert einen repräsentativen Einblick in die Arbeiten aus den 60er und 70er Jahren von Zeichnern wie Wolinski, Willem, Reiser, Gébé, Fred u.a., die zum Teil bei dem Anschlag im Januar dieses Jahres ermordet wurden. Eine gelungene Würdigung.

Christian Meyer

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