Punks waren eine Herausforderung für die späte DDR: Ästhetik, Habitus und No-Future-Überzeugung widersprachen grundlegend allen Vorstellungen einer sozialistischen Gesellschaft – obwohl vielleicht der Verzicht auf Zukunft dem Stillstand des Systems am besten entsprach. Der Autor und Regisseur Sascha Hawemann gehörte zu den nicht allzu zahlreichen und mit Verspätung auftretenden DDR-Punks. Jetzt erinnert er sich mit seinem Stück „November“, das am Schauspiel Bonn in seiner eigenen Inszenierung herauskam, an diese Vergangenheit und spiegelt sie in einer enttäuschenden Gegenwart (Punk war schließlich auch eine Reaktion auf den neoliberalen Kurs der Thatcher-Regierung).
Auf der Bühne der Bonner Werkstatt steht die Mauer noch: Eine hohe Plexiglaswand (Bühne: Wolfgang Gutjahr) ist nicht nur Zeichen für den „Schutzwall“ einer Diktatur oder gegen Corona, sondern steht auch für die westliche Unzugänglichkeit zu Erinnerungen an die DDR. Die Protagonisten Fotzo (Holger Kraft), Micha (Christoph Gumert) und Phil (Sören Wunderlich) stehen als heutige Mittfünfziger an dieser Mauer und beklagen melancholisch den „Geschmack von trockenem Sand im Mund“. Ob Puppenspieler, Filmemacher oder Journalist, sie sind mehr schlecht als recht im neuen System angekommen. Plötzlich zieht sich das Trio T-Shirts über, zerstrubbelt sich die Haare und stürzt sich in die Vergangenheit. Zeitpunkt: November '85. Von Verweigerung ist die Rede, vom Verlust der Studienerlaubnis, und vom Einpullern auf Kommando beim Vorführen durch die Vopos und Stasi.
Der Abend wechselt immer wieder zwischen den Jahren 1985, 1989, 1991 und der Gegenwart hin und her und erzeugt so eine Art theatralen Stream of Consciousness der Erinnerung – weniger in Dialogen als in fragmentarischen, monologischen Erzählungen. Dass diese Erinnerung eine schwere Bürde sein kann, zeigt Phils Mutter Svetlana (Ursula Grossenbacher), die die Erinnerung an die Erschießung von Partisanen 1944 in Jugoslawien wie ein seelisches Bleigewicht mit sich herumschleppt. Zwar wird ihr Glaube an das sozialistische System, das Phil immer wieder kritisiert, erschüttert, doch die Wende bringt nur völliges Verstummen. Svetlana vegetiert im Krankenkittel dahin und Phil muss sich eine Heiner Müller-Brille aufsetzen, um von ihr erkannt zu werden. Erinnerung überformt alle, die Eltern- wie die Kindergeneration.
Doch auch wenn immer wieder von Gewalt, Nazimus oder Rassismus in der DDR die Rede ist, die Punk-Erinnerung wird durchstrahlt von einem melancholischen Wärmestrom, in dem Freundschaft, Unbedingtheit, Wildheit, Protest für eine Politisierung des eigenen Lebens sorgten, die im Kapitalismus unerreichbar bleibt. Diese Wärme hat nicht zuletzt mit einer siebenjährigen Liebesgeschichte Phils in Jugoslawien zu tun. Immer im Sommer traf er dort seine große Liebe „Ewigschön“, die Ursula Grossenbacher in einer Doppelrolle spielt. Sascha Hawemann inszeniert diesen Erinnerungsreigen mit viel Empathie für seine Figuren, ohne in Sentimentalität oder Nostalgie zu verfallen. Trotz mancher Längen und Wiederholungen ein Abend von großer Eindringlichkeit.
November | R: Sascha Hawemann | 8., 15.1. 20 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08
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