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„Die Pest"
Foto: Lilian Szokody

Nur gemeinsam gegen das Böse

27. November 2014

Das Bonner fringe ensemble zeigt im Theater im Ballsaal Camus' „Die Pest" – Theater am Rhein 12/14

Des göttlichen Lichts beraubt, sitzen die Zuschauer im Kreis. Noch haben sich die Augen nicht an die Dunkelheit gewöhnt, da setzt der Monolog des Arztes Rieux ein. Irgendwo im Raum, irgendwo auf der Welt. Oder hat sie gar aufgehört zu existieren?

Die Drehstühle im Bonner Theater im Ballsaal machen es möglich, der durch den Raum wandernden Stimme zu folgen, die da von unerhörten Geschehnissen in der algerischen Hafenstadt Oran berichtet, nachdem der Arzt seine an Tuberkulose erkrankte Frau ins Schweizer Sanatorium geschickt hat und nachdem er die ersten toten Ratten bemerkt. Frank Heuel inszeniert Albert Camus' autobiografisches Konstrukt über das Böse an sich unaufgeregt, mit spärlichen Requisiten und dadurch umso eindrucksvoller.

Was als Lesung im Darkroom beginnt, entwickelt sich nach und nach zur Eloge an die Solidarität, wird zur Ode eines gemeinsamen Kampfes gegen das Unheil, das Opfer fordert, dessen Bekämpfung aber auch das Licht zurückerobert. Andreas Meidinger stellt sich als Akteur der Textmenge und als Arzt Rieux der Massenplage entgegen, er hastet durch den Raum, verharrt bei einzelnen ZuschauerInnen.

Längst ist schummeriges Licht aus zahlreichen alten Lampenschirmen zurückgekehrt, Straßengeräusche wehen durch den Ballsaal, Oran lebt in trügerischer Sicherheit, die Ratten sind eher ein Müllproblem. Mahnende Worte werden ignoriert, die Oberschicht hat eben andere Sorgen. Bis die ersten Toten begraben werden müssen und Rieux langsam dämmert, dass hier mehr auf dem Spiel steht als Entsorgungsprobleme. Er wird zum Rufer in der Wüste, doch die Obrigkeiten reagieren nicht. Erst als die Toten nicht mehr zu übersehen sind, wird klar, dass es sich um die Pest handelt, wird klar dass nicht genug Serum da ist. Die Stadt wird geschlossen und zur Falle für alle, die sich darin aufhalten.

Natürlich fällt einem sofort die aktuelle Ebola-Epidemie in Afrika ein und die daraus resultierende Unfähigkeit der westlichen Welt, mit so einer archaischen Bedrohung umzugehen. Auch heute fehlt aus ökonomischen Gründen das rettende Gegenmittel, auch heute kämpfen die Armen der Armen allein gegen das Böse an sich. Insofern sind die Bezüge nur ähnlich, die Substanz, die Camus seinem Stück verlieh, aber gleich.

Rieux entscheidet sich zum Handeln, auch gegen die Weisungen der Stadtoberen. Er gewinnt Mitstreiter, aber auch Gegner, die in dem Virus eine göttliche Botschaft erkennen wollen. Der Kreislauf des Kampfes beginnt, Heuel lässt seinen Protagonisten diesen verfolgen, immer rund herum um Zuschauer und Stadt, die Pest fliegt derweil als schwarze Stoffkugeln durch die Luft, die ethischen Auseinandersetzungen mit Jesuitenpater Paneloux auch. Nur einer wird es überleben.

Am Ende sind die Schlachten geschlagen, das Böse mit Solidarität und Revolte besiegt. Andreas Meidinger öffnet die Tür nach draußen, frische Abendluft weht herein. Doch von der Decke flattern weiße Zettel mit Ratten aufs Publikum. Der Kampf hört niemals auf. Auch nicht in Afrika.

„Die Pest" | R: Frank Heuel | Mi 3.12., Di 4.12. 20 Uhr | Theater im Ballsaal, Bonn | 0228 962 94 90

PETER ORTMANN

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Theater am Rhein.

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