Gegen das Schicksal, behaupten zumindest Fatalisten, ist der Mensch machtlos. So ist das eben, da kann man nichts ändern. Shit happens. In der deutschen Übersetzung von Kurt Vonneguts postmodernem Meisterwerk „Slaughterhouse Five“, die das Fringe Ensemble unter der Regie von Frank Heuel am Theater im Ballsaal inszeniert hat, lautet diegängige Floskel für derartige Momente: „So geht das“. Drei Worte, um die Vergänglichkeit zu beschreiben, drei Worte, mit denen sich jeder Schrecken erklären lässt. Selbst die Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg, die sowohl die Hauptfigur Billy Pilgrim als auch Vonnegut miterlebtenund die ihr beider Weltbild nachhaltig veränderte. Diesen Grad der Zerstörung kann man nicht angemessen beschreiben oder gar erklären. „So geht das“. Insofern ist es nur konsequent, dass Heuel eine Collagen-ähnliche szenische Lesung des Stoffes auf die Bühne bringt, anstatt zu zeigen, was nicht gezeigt werden kann. Aber reicht das?
Im Mittelpunkt der Handlung steht die Geschichte des US-Amerikaners Billy, der sein Leben nicht chronologisch erlebt, sondern vielmehr in zufälligen Episoden: Er springt – ausgehend von seiner Gefangennahme durch die Wehrmacht im Jahr 1944 – zwischen verschiedenen Zeitebenen hin und her, darunter seine Geburt, seine Hochzeitsnacht, seine Ermordung und seine Entführung durch die außerirdischen Tralfamadorianer. Diese nehmen als vierdimensionale Wesen die Zeit in ähnlicher Weise wahr wie Billy, haben aber Kontrolle darüber und können unerwünschte Momente einfach ausblenden, diese aber angeblich nicht ändern. Selbst der endgültigen Vernichtung des Universums durch einen missglückten Testflug eines ihrer Piloten sehen sie stoisch entgegen. „So geht das.“
Diese Einstellung hat auch das Fringe Ensemble aufgegriffen und die postmoderne Form des Romans in den Mittelpunkt der Inszenierung gesetzt. Nüchtern lesen Justine Hauer, Manuel Klein, Georg Lennarz, Bettina Marugg und Andreas Meidinge die Passagen aus „Slaughterhouse Five“ vor, immer einzeln, aber zum Teil mitten im Satz den Sprecher wechselnd. Alles ist im Fluss, keine Position von Dauer. „So geht das.“ Die Schauspielerinnen und Schauspieler ordnen sich dem Primat des Erzählers unter und verzichten darauf, einzelne Szenen erfahrbar zu machen: Sie bleiben meistens statisch, nur ab und zu bedienen sie mal die Diaprojektoren an ihren austauschbaren kleinen Tischen oder stehen für einen Moment auf. Größere Bewegungen sind ihnen lediglich während der beiden von Manuel Klein hervorragend dargebotenen David-Bowie-Hits „Space Oddity“ und „Starman“ gestattet.Trotzdem ist „Schlachthof Fünf“ (so derdeutsche Titel) alles andere als banal. Ganz im Gegenteil: Der Text, der durchaus auch als Innensicht eines Traumatisierten gelesen werden kann, ist keine leichte Kost, insbesondere angesichts der ständigen Zeitsprünge, mit denen zumindest ein Teil des Premierenpublikums durchaus zu kämpfen hat. Dennoch spendet das nach knapp zwei Stunden plus Pause herzlichen Applaus. Ja, so geht das.
Fringe Ensemble: Schlachthof Fünf | Weitere Termine in Planung | Theater im Ballsaal, Bonn | 0228 79 79 01
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