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Rüdiger Pape und Irene Schwarz
Foto(li): Uwe Aufderheide, Foto(re): Janine Guldener

„Menschen, Tiere, Gebüsch – wir spielen alles“

28. Juni 2022

Rüdiger Pape und Irene Schwarz über „Odyssee“ – Premiere 07/22

Homers Epos „Odyssee“ ist ein Klassiker der Weltliteratur und sprichwörtlich geworden. Die Geschichte um die Heimkehr des Odysseus und seiner Gefährten vom trojanischen Krieg, die ihn auf mehrjährigen Irrfahrten zum einäugigen Polyphem, den betörenden Sirenen oder der zauberischen Circe führen, kennt jeder. Das NN Theater ist bekannt für sein Volkstheater unter freiem Himmel und nimmt sich jetzt Homers Opus zur Brust. Ein Gespräch mit Regisseur Rüdiger Pape und Schauspielerin Irene Schwarz über Helden, Drogen und die Komik von Roadmovies.

choices: Frau Schwarz, Herr Pape, das NN Theater wird 35 Jahre alt. Ist die „Odyssee“ das Geburtstagsgeschenk an die Zuschauer?

Irene Schwarz (IS): Bei uns liegt die „Odyssee“ schon lange in der Schublade. Die letzten Stücke waren der Filmstoff „Casablanca“, das Märchen „Das kalte Herz“ und die Science Fiction-Geschichte „20.000 Meilen unter dem Meer“. Diesmal wollten wir beim Stoff und der Sprache wieder einmal eine archetypische Geschichte erzählen.

Rüdiger Pape (RP): Ich hatte als Kind diese Schallplatte mit der „Odyssee“ als Hörspiel und das hat mich damals sehr bewegt. Wenn der Zyklop die Gefährten des Odysseus verschlang, hörte man richtig das Schmatzen. Für mich als Siebenjähriger war das erschreckend und faszinierend gleichzeitig. Und das gilt eigentlich bis heute. Das ist ein Stoff, der mich zeitlebens angetriggert hat.

Was ist denn die Odyssee nun eigentlich: Eine Abenteuergeschichte, ein Roadmovie, eine phantastische Geschichte? 

RP: Das können wir alles abnicken. Aber die Geschichte hat verschiedene Ebenen. Auf der einen Seite geht es um den 10 Jahre dauernden Trojanischen Krieg bzw. dessen Folgen. Das haben die Männer um Odysseus gerade hinter sich, sind also traumatisiert, wenn sie auf Reisen gehen. Darin liegt ein Berührungspunkt zu heute. Das erste, was sie dann machen, ist: Sie überfallen eine Insel und schauen, was da zu holen ist. Da spielt dann der Kolonisationsaspekt mit hinein. Der andere Aspekt ist die private Geschichte um Penelope, die in Ithaka auf ihren Mann Odysseus wartet und von Freiern umworben wird. 

IS: Ich glaube, das Spannende ist: diese archetypischen Stoffe lassen eine Menge Platz für Interpretationen, ohne dass wir jetzt ganz konkret traumatisierte Soldaten spielen müssen. Zum anderen erzählen wir diese Geschichte und da weht dann so ein Hauch von 3200 Jahren Erzählkultur mit hinein und das ist etwas, was einfach immer noch gilt. 

Die „Odyssee“ hat viele Episoden, von dem einäugigen Riesen Polyphem, den betörenden Sirenen, der Zauberin Circe – welche Episoden haben Sie ausgewählt?

RP: Wir haben zunächst die unterschiedlichen Übersetzungen gelesen und uns dann gefragt, welche Geschichten uns besonders interessieren. Manches kann man auch nicht weglassen wie den einäugigen Polyphem zum Beispiel. Das erzählen wir aber nicht nur aus der Perspektive des Odysseus, sondern auch der des Zyklopen. Da klingt die Geschichte ein bisschen anders.  

Andererseits gibt es Episoden wie die bei den Lotophagen, die den Jungs Vergessensdrogen verabreichen, die kennt eigentlich kaum jemand. 

IS: Die ist aber drin. 

RP: Die Drogen und der Rausch, das hat unsere eigenen Erfahrungen getriggert und das mussten wir schon deshalb erzählen. Das macht auch Spaß, wenn sich die gesamte Truppe um Odysseus im Drogenrausch auf dieser Insel verliert und gar nicht mehr nach Hause will. Wir haben immer wieder ausprobiert, welche Geschichten wir mit unseren Mitteln erzählen können. Also wir haben ja alles im Programm: Erzählung, Drama, Komik, Unterhaltung, es gibt Musik, es wird gesungen. 

IS: Ein wichtiger Zugang für mich war dieser gebrochene Held, der unbedingt nach Hause will. Der vergisst das zwar immer mal wieder. Zwei Jahre ist er unterwegs, liegt aber immerhin acht Jahre mit verschiedenen Frauen im Bett rum. Dann kommt er nach Hause zurück und da lungern die Freier um seine Frau herum. Und dann richtet er ein Blutbad an und steht  - so heißt es im Original - bis zu den Knien im Blut. 

Apropos Held: Wir erleben gerade im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg wieder eine Heldenverehrung. Ist Odysseus ein Held? 

RP: Es berührt mich auch, was in der Ukraine passiert und mit welcher Gradlinigkeit die tun, was sie da tun. Den Heldenbegriff muss man trotzdem auch hinterfragen. Manchmal ist Odysseus ein Held, manchmal ist er ein Feigling. Dadurch, dass er immer wieder von anderen SchauspielerInnen gespiegelt wird, wird er auch immer unterschiedlich aufgefasst. Und insofern ergibt sich da kein stringentes Heldenbild. 

IS: Es gibt ja auch verschiedene „Odysseuse“: Den liebenden Odysseus. Den, der Angst hat. Den, dem die Gefährten Druck machen. Den Gescheiterten in der Episode mit Skylla und Charybdis. Wir haben den Heldenbegriff in alle möglichen Zustände und Facetten aufgebrochen.

RP: Was am Schluss übrigbleibt, hat dann einen ganz bitteren Geschmack. Am Ende ist eigentlich alles zerstört. Es bleibt nicht mehr viel übrig von dem Helden und dem Weg, den er beschritten hat. Als Kind habe ich früher immer gedacht, der Mord an den Freiern ist gerechtfertigt. Heute sehe ich das anders, denn Odysseus bringt nicht nur die Freier um, sondern auch alle Mägde, die mit den Freiern kollaboriert haben. Das ist pure Rache. 

Ist die Odyssee letztlich ein typisches Männerstück mit Krieg und Abenteuer und zuhause warten die Ehefrauen? 

IS: Zum einen spielen wir alle alles: Männer, Frauen, Gebüsch, Tiere – whatever. Odysseus wird von allen verkörpert. Und wir haben der Penelope schon eine Menge Platz und Kraft gegeben. Sie kommt nicht erst am Ende ins Spiel, sondern ist von Anfang an dabei, immer wieder: „Währenddessen in Ithaka“. 

RP: Es klingt ziemlich konservativ, doch das Treue-Motiv der Penelope ist schon etwas, was einen total berührt, das aber auch total widersprüchlich ist. Natürlich hadert sie auch mit ihrer Treue, ist ständig der Versuchung ausgesetzt und das versuchen wir mitzuerzählen. Wir mussten dabei allerdings auch immer gucken, dass wir uns fokussieren um den Stoff in einer gewissen Zeit erzählt zu bekommen…

IS: …in anderthalb Stunden. In Köln haben wir ein eigenes Publikum. Aber wenn wir auf Tour sind, spielen wir auch vor Leuten, die sonst nicht ins Theater gehen und die die Geschichte nicht so genau kennen. Wir erzählen die Geschichte mit allem, was wir interessant finden. 

Und die Komik? 

IS: Als NN Theater haben wir es bisher noch bei jedem Stück geschafft, Komik reinzubringen. Wir machen schließlich Volkstheater. Und Rüdiger Pape ist auch kein Kind von Traurigkeit. 

RP: Peter Zadek hat mal gesagt: Suche in der Tragödie die Komödie und in der Komödie die Tragödie. Und ich glaube, es braucht in diesen doch sehr tragischen Verläufen auch ein paar comic reliefs. Bei den Lotophagen ist es schon sehr lustig. Und dann bietet ein Roadmovie natürlich auch eine Menge Möglichkeiten für Slapstick und Situationskomik.

Odyssee | R: Rüdiger Pape und NN Theater | 1.-3.9. 19.30 Uhr | Waldbad Dünnwald | 0176 20 72 78 57

Interview: Hans-Christoph Zimmermann

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