Gunnar Wendel alias Kassem Mosse trägt volles Haar mit einer Pony-Schwungwelle und ein weißes Hemd. Mucksmäuschenstill sitzt er da, hochkonzentriert. Sein Gesicht ist ernst. Er als Einziger erleuchtet im Schein des Lichtkegels, um ihn herum auf der Erde die wartende Zuschauermenge in der Dunkelheit. Der Andrang ist groß bei der Pluriversale III. Es ist bedrohlich ruhig. Doch dann legt der Leipziger DJ den Schalter um und plötzlich dröhnen elektrisierende Geräusche, die es in sich haben, durch das Museum. Schön sind sie nicht, eher verstörend. Das Faszinierende an Mosses Musik ist, dass sie seltsam anmutet, sich nicht richtig einordnen lässt, zum Denken anregt, ambivalent ist. Da dröhnen dem Publikum bisweilen Sound-Szenarien, die an Kriege erinnern, entgegen, dann wieder meint man, das Geräusch eines piepsenden Handys vernommen zu haben, Störsignale, jemand spricht. Oder ist es etwa die Person neben einem? Während der gesamten Performance erhält der Zuhörer den Eindruck, die Geräusche seien ihm irgendwie bekannt. Oder sind es nur Täuschungen? Glaubt man nur, diese eigentümlichen Klänge zu kennen, weil man einfach zu viel von den Medien berieselt wurde, zu häufig auf sein Smartphone gestarrt hat? Der Zuschauer ist irritiert. Aber genau das ist das Ziel. Denn tatsächlich ist es kein echtes Kriegsmaterial, das Mosse den Besuchern entgegenschleudert. Der 38-jährige Elektro-Produzent bedient sich stattdessen Geräuschen aus dem Alltag, die er gelungen mit fiktionalen Klängen aus Filmen, Computerspielen und anderen Medien kombiniert.
Auch wenn Gunnar Wendel seine Musik oftmals als unpolitisch abtut, kratzt sie doch an globalen Themen. Den ganzen Abend über während der Eröffnung der Pluriversale sind die Themen „Krieg“ und „Überwachung“ jedenfalls allgegenwärtig. „Gemeinsames Denken gegen den Krieg“ lauten die Eröffnungsworte durch die Akademie. Auch die Filmemacherin Hito Steyerl verweist in ihrer Präsentation eingangs auf die Militarisierung der Politik. Eindrücklich, aber mit verstörend monotoner Stimme spricht sie von sich verselbstständigenden kriegerischen Systemen. Technischen Eigenwelten, die wir als Mensch nicht mehr verstehen.
Und nicht ganz zufällig lautet Mosses Sound-Art-Projekt „Combat Zones That See“, eine wohl dezente Anspielung auf das gleichnamige Programm des amerikanischen Verteidigungsministeriums, das heute eine totale visuelle Überwachung im Krieg ermöglicht. Kriegssysteme sind heute dank Überwachung „perfekter“ geworden als je zuvor. Spezielle Tracking-Systeme und drohnenbasierte Kameras erzeugen dabei visuelle Intelligenzen, die es ermöglichen, jegliches abweichende Verhalten sofort zu erkennen und den Feind umgehend zu vernichten. Kriegsperversion in Perfektion. Der Mensch hat mittels teurer Technik eine kriegerische Maschinerie in Gang gesetzt, die auf gefährliche Weise intelligenter geworden ist als er selber. Skurril ist, dass Gunnar Wendels Projekt zwar „Combat Zones That See“ lautet. Während seiner Performance aber wird – konträr zur Programm-Ankündigung – nichts Kriegerisches und überhaupt gar nichts Visuelles gezeigt. Stattdessen wird einfach nur gehört. Ironischerweise ist genau das das Thema: Dass wir als Mensch die technischen Systeme des Krieges nicht mehr sehen und nicht mehr begreifen können, weil sie aus unserem Sichtfeld und aus unserer Kontrolle geraten sind.
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