Eine überschaubare internationale „Reading Group“ hat es sich in den Räumlichkeiten des Academyspace in der Kölner Herwarthstraße gemütlich gemacht, inklusive eines Hundes, um über ein eher ungemütliches, aber noch immer relevantes Thema zu diskutieren: Faschismus in der zeitgenössischen Kunst. Genauer gesagt darüber, wie Künstler der Gegenwart den Aufstieg politischer Rechtsparteien reflektieren – und ob sie diesen überhaupt reflektieren (müssen). Unter dem Titel „Zeitgenössische Künstler gegen Faschismus“ rief die frisch gebackene neue Kuratorin der Akademie der Künste der Welt mit dem kurzen Namen Aneta Neringa Rostkowska zum nunmehr dritten Treffen der Lesegruppe ein, nachdem im April zum Thema „linker Populismus und das Potenzial kritischer Bildung“ debattiert und im März das Buch „The Extreme Centre“ von Tariq Alis vorgestellt wurde. Die aus Polen stammende Rostkowska, die neben ihrer kuratorischen Tätigkeit als Autorin und Dozentin arbeitet und verschiedene künstlerische Initiativen mitbegründete, war von einem ähnlich informellen, aber dafür umso eindringlicheren, weil sehr persönlichen Gruppengespräch in Krakau so begeistert, dass sie diese Idee nach Deutschland transportierte.
Künstlerische Werke und Formationen, die als Beispiel dienen, sind etwa das nicht nur von Susan Sontag stark kritisierte, heroisierende Werk Leni Riefenstahls während der NS-Zeit und die provozierende und für viel Gesprächsstoff sorgende Band Laibach. Die Fragen, die an diesem Abend in den Raum geschleudert werden, sind: Welcher Methoden bedienen sich zeitgenössische Künstler, um Faschismus zu mehr Macht zu verhelfen? Was passiert, wenn Künstler der Gegenwart mit faschistischen Symbolen und Ästhetik in ihrer Arbeit spielen? Und: Trägt der Künstler eigentlich eine Verantwortung für das, was er schafft?
Vehement zerriss Susan Sontag in ihrem Aufsatz „Faszinierender Faschismus“ die Rehabilitation Leni Riefenstahls, der einige wohlgesinnte Kritiker mit dem Argument, sie habe eben in einer politisch schwierigen Zeit nur ihren Job gemacht, quasi vergeben würden. Sontag hingegen wirft der Regisseurin berühmter Dokumentarfilme aus der Nazidikatur vor, „faschistische Ästhetiken zu fördern“, und nicht nur das: ebenso für Verfolgung und Tod verantwortlich zu sein. So schreibt Sontag: „Faschistische Kunst verherrlicht die Ergebung; sie erhöht die Gedankenlosigkeit: sie glorifiziert den Tod.“
Die Meinungen darüber gehen weit auseinander: Während es ganz klare Positionen gibt mit dem Standpunkt, der Künstler habe sehr wohl sogar eine sehr große Verantwortung, zumindest dann, wie im Falle Riefenstahls und des Holocausts, wenn es um das Leben und den Tod anderer Menschen gehe, gibt es auch gemäßigtere Ansichten: Schließlich habe es die ästhetische Vorstellung von einem perfekten Körper und die damit einhergehende Heroisierung einer Person – die Symbolik vom Sieg des Stärkeren über den Schwächeren – wie sie Riefenstahls Bilder transportierten, schon viel früher, etwa im Römischen Reich oder in der griechischen Mythologie, gegeben. Dass Riefenstahl dieses Bild des perfekten idealisierten Körpers extra für den Faschismus selber erfand, sei nicht richtig. Vielmehr habe sie es ausgenutzt und als Propagandafilmmittel benutzt. Einstimmig festgestellt wird, dass Symbole, die häufig in faschistischer Ästhetik zu finden sind, uns auch heute noch in vielen Modezeitschriften und in der Werbung begegnen – der perfekte Körper ästhetisch in Szene gesetzt. Hat aber nicht jede Sprache ein System, das bestimmte Zeichen und Symbole transportiert? Gibt es nicht auch linke Ideologien, die über Bilder transportiert werden? Das sind weitere Fragen des Abends.
Die stark divergierenden Meinungen zeigen, dass das Thema „Faschismus und Kunst“ ein hoch komplexes und äußerst sensibles ist. So sind auch die Ansichten bezüglich Laibach, einer slowenischen Metal-Band, die bescheuert uniformiert auftritt und so an totalitäre Regime erinnert, sehr unterschiedlich. Manche finden ihre Musik einfach nur schrecklich. Andere erachten ihr Stilmittel der Überidentifikation und Provokation durchaus als spannend. Mittels einer übertriebenen Persiflage, einer sogenannten „Überidentifikation“, spielen diese Musiker mit faschistischen Symbolen auf so extreme Weise, dass sie lächerlich oder absurd wirken. Die Fragen, die an dieser Stelle aufkommen, sind: Wird das dem Zuschauer genügend klar? Versteht das Publikum, dass es sich um eine Übertreibung handelt, oder denkt es, es mit echten Nazis zu tun zu haben? Und wieder die Frage: Wie viel Verantwortung trägt der Künstler?
Ein hoch spannender Abend in entspannter Atmosphäre. Das Thema des nächsten Treffens am 4. Juli lautet: „Wie Populärkultur antifaschistische Vorstellungen zum Ausdruck bringt“. Der Eintritt ist frei. Hunde sind willkommen. Sogar mit Alkohol.
Lesegruppe | nächste Termine: 4.7., 18.7. 19 Uhr | Academyspace | www.academycologne.org
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