Theater gibt sich nur noch den Anschein des analogen Renegaten, während es im Innern längst digital aufgerüstet hat. Insofern muss auch ein Stück über Drohnen nicht allein mit dem moralischen Impact der Täter am Joystick argumentieren. Im Theater im Ballsaal schweben unter der Decke drei oktogonale Projektionsflächen, über die Wolken fliegen und später Aufnahmen von der Erde. Der Zuschauer fläzt im Liegestuhl und schaut aus der Ameisenperspektive auf die potentiellen Ziele über ihm. Am Kopfende des Raumes sitzen Justine Hauer, Manuel Klein und Andreas Meidinger vor drei Monitoren und haben die Koordinaten samt Zielcursor ständig im Blick. Man erkennt Wüsten- und Schneelandschaften, intakte und zerstörte Häuser, Autos, einzelne Menschen.
„Drones“ heißt das neue Stück des fringe ensembles. Es ist Musiktheaterprojekt des Kölner Komponisten Gregor Schwellenbach, das im Rückbezug auf die geräuschhafte und minimalistische Drone Music des Komponisten La Monte Young den Text „Autopilot“ von Lothar Kittstein mit der Drohnendebatte des Bundestags zu einer „Oper“ vertont. Die drei Performer wechseln zwischen den Monitoren und dem um die Zuschauer positionierten Instrumentenpool (Orgel, Keyboards, Gitarren) und entlocken ihnen Klangflächen ohne Melodie und Rhythmus, irgendwo zwischen Fluggeräusch und Klangteppich. In einer Art syllabischem Sprechgesang ertönt Kittsteins Text über einen Mann, der eine Drohne aus seinem Büro steuert. Er schwärmt von der Natur, dem detaillierten Blick auf Menschen und Dinge, schließlich glaubt er sogar Gerüche wahrzunehmen. Es sind Beobachtungen aus einer Perspektive der Einsamkeit und Imagination, des Voyeurismus und der Allmacht, die sich zur Zerstörung autorisiert fühlt. Dieser Blick und das Aussparen jedes Spektakels an Explosion und Lautstärke eröffnet die Möglichkeit zur Identifikation und schafft so ein Klima der Irritation. Die Ästhetisierung des Schreckens ist total. So schön kann Vernichtung sein. Die meditative Stille der Klangflächen verdoppelt diese Wirkung noch. Wenn dann selbst die Stimmen der Bundestagsabgeordneten gesanglich manipuliert werden, ist die Absurdität perfekt.
„Drones“ | R: Gregor Schwellenbach | Fr 11.11., Sa 12.11. 20 Uhr | Theater im Ballsaal | 0228 79 79 01
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Wahllos durch die Zeitebenen
„Schlachthof Fünf“ am Theater im Ballsaal – Auftritt 04/24
Tennismatch der Kühe
„Mata Dora“ in Köln und Bonn – Tanz in NRW 03/24
„I am present but I don‘t exist“
West Off 2023 in Bonn, Köln und Düsseldorf – Prolog 11/23
Kaum etwas ist unmöglich
„Wunderland ist überall“ am Bonner Theater im Ballsaal – Prolog 09/23
Zu den Schumanns nach Bonn
Sommerveranstaltungen des 24. Schumannfests – Klassik am Rhein 07/23
Politische Wucht
„Cotton Club“ in Bonn – Theater am Rhein 03/23
Gesellschaftlicher Seismograph
8. Internationales Bonner Tanzsolofestival – Tanz in NRW 03/23
Koloniale Abhängigkeit
„Cotton Club“ am Theater im Ballsaal – Prolog 02/23
Die Naturgewalt Mensch
„Stürmen“ am Theater im Ballsaal – Theater am Rhein 03/22
„Wir leben in stürmischen Zeiten“
Frank Heuel über das neue Stück des fringe ensembles – Premiere 02/22
Smoothies der Kunst
„Clara“ im Theater im Ballsaal – Theater am Rhein 05/19
Ertrag des Müßiggangs
Das Bonner fringe ensemble ist durch London flaniert – Theater am Rhein 11/18
Klamauk und Trauer
„Die Brüder Löwenherz“ in Bonn – Theater am Rhein 01/25
Ein Bild von einem Mann
„Nachtland“ am Theater Tiefrot – Theater am Rhein 12/24
Fluch der Stille
„Ruhestörung“ am TdK – Theater am Rhein 12/24
Im Land der Täter
„Fremd“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 12/24
Das Mensch
„Are you human“ am TiB – Theater am Rhein 12/24
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Bis der Himmel fällt
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 09/24
Feder statt Abrissbirne
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 07/24
Der Untergang
„Liquid“ von Wehr51 – Theater am Rhein 07/24
Gefährlicher Nonsens
Kabarettist Uli Masuth mit „Lügen und andere Wahrheiten“ in Köln – Theater am Rhein 07/24
Den Schmerz besiegen
„Treibgut des Erinnerns“ in Bonn – Theater am Rhein 07/24
Alles über Füchse
„Foxx“ in den Ehrenfeldstudios – Theater am Rhein 07/24
Vergessene Frauen
„Heureka!“ am Casamax Theater – Theater am Rhein 06/24