Einen ganz besonderen Ausstellungsort hat die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn. Der Echoraum befindet sich im Untergeschoss gleich links neben den Toiletten. Einen realen architektonischen Eingriff hat Johannes Jensen dort in den sanitären Anlagen für Herren installiert. „Wohnklo“ verwandelt eine der Toilettenanlagen in einen Wohnraum. „Sechs minus“ heißt die sechste und letzte Präsentation im Rahmen der zweijährigen Kooperation mit der Kunsthochschule für Medien in Köln und dem von Prof. Mischa Kuball ins Leben gerufenen Experimentallabor -1/MinusEins. Noch einmal werden Werke von 20 Künstlerinnen und Künstlern der rheinischen Hochschule präsentiert. Die Reihe wird danach mit einer anderen deutschen Medienkunsthochschule fortgesetzt.
Vom Klo hinein in die Echoraum-Schau des medienkünstlerischen Nachwuchses, der augenscheinlich immer auf der Höhe der modernen Technik ist, dabei die Traditionen nicht verleugnet, ganz im Gegenteil. Ein nagelneuer Parallelogrammscheibenwischer einer bekannten deutschen Automarke verändert mit seinen permanenten Bewegungen als kinetische, raumgreifende Skulptur das Raumgefühl. Zu wischen hat er auf seinem Stativ natürlich nichts, setzt aber Luftpartikel und Pupillen in Bewegung, irgendwie kehrt man beim Betrachten der meist erst auf den zweiten Blick zu durchschauenden Werke zu ihm zurück. „Marcel“ heißt die Arbeit von Christoph Kilian, der damit auch auf zahlreiche Vorgänger dieser künstlerischen Praxis wie etwa den Urvater des Readymade Duchamp hinweist.
Erstmals wurden auch zwei Liveperformances realisiert, die sich unmittelbar mit der Bundeskunsthalle befassen. Vera Drebusch erkundete in „Beamerspaziergang“ mit einem Projektor das Gelände und machte dabei auch die Oberflächen im urbanen Raum sichtbar. Politischer ist da Evamaria Schaller. Sie verknotet in der Performance „MI2“ (Mission Impossible 2)6 Säulen, die symbolisch für die Bundesländer vor der Kunsthalle stehen, mit einem Seil und versucht diese fast theatralisch durch „Säulenziehen“ aus ihrer Verankerung zu heben. Theatralisch mutet auch die Fotografie von Changje Hong an. Bei „Viewthe scenes # 668 Space Itself” spürt sie dem Wesen der Abbildung nach, indem sie Räume mit so starker Beleuchtung fotografiert, dass sie zu einer Art Stillleben werden.
Ein Eigenleben hat der Computer in der Arbeit „EnTroPI“ von Jan Goldfuß. Er liefert 3D-Animationen, die insbesondere die digitale Ästhetik thematisieren. Der Computer wird als äquivalenter Partner wahrgenommen und bestimmt die Formgebung mit. Die Arbeit soll so entfernt auch an die surrealistische Praxis der écriture automatique (eingeführt 1889 vom französischen Psychotherapeuten Pierre Janet) erinnern, die von den Dadaisten um André Breton ausgiebig verwendet wurde, weil sich das automatisch Niedergeschriebene jeder Zensur widersetzte. Bei Goldfuß könnte es auch eine Untersuchung des Unterbewusstseins der Maschine sein. Wenn es dann riecht, ist das die unsichtbare Arbeit von Mia Boysen, deren Präsenz sich unbemerkt in das Gedächtnis des Besuchers einschreiben soll, um dort neue Assoziationen und Emotionen hervorzurufen.
„Sechs minus“ I Echoraum, Bundeskunsthalle Bonn I bis 20. Mai
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