Eigentlich – und das ist eine Qualität – kommt man in der Ausstellung von Ulla Bönnen nie an ein Ende. In der Ausstellungsebene und auf der Galerie des spätgotischen Hauses Saaleck verweist eins aufs andere. Schon die türkisfarbene Schnur, die in ein Stück Seil gewoben ist, kann zum Anlass werden, erneut nach dem verwaschenen Rinnsal an der Wand zu schauen. Und kehrt nicht die Verspannung des geschwärzten Brückengestänges oben im gekippten Stuhlfragment einer Skulptur wieder? Schließlich sind da die vielen Feinheiten der Werke selbst, wie etwa die verschiedenen Zeitstufen der Stuhlbeine oder der fotografische Blick in einen Fahrstuhlschacht, in dem sich Möbel verkeilt haben – und der bestätigt, dass allen Werken die bildhauerische Perspektive gemeinsam ist.
Ulla Bönnen fügt in der artothek Skulptur, Fotografie, Collage, ja, sogar Momente von Malerei zu einer präzis choreografierten Installation zusammen, die den gesamten Ausstellungsraum aktiviert. Die zentrale (Re-)Konstruktion eines Piers ist zwischen die gegenüberliegenden Wände verspannt. Die Regenrohre nehmen das kantig Raumgreifende an der Wand wieder auf und stellen unser Gefühl für Innen und Außen auf die Probe. Auf der Galerie unterstreichen die Lichtbilder zweier Pigmentdrucke, die eine verlassene Tennis-Anlage zeigen, die Verbindung nach draußen.
Gemeinsam ist diesen Werken die Frage nach dem Einfluss von Klima und Natur auf die Zivilisation. Ulla Bönnen schildert Situationen, die sie an den Küsten am Meer gesehen hat: die Zersetzung durch die salzige Luft und den Wind, das Bleichen durch die Sonne und wie die Bewohner damit umgehen. Bönnens Werke im ebenerdigen Ausstellungsraum beziehen sich auf die englische Südküste mit dem zerstörten West Pier in Brighton, und die zentralen Werke auf der Galerie wenden sich der Bebauung und der Architektur auf Teneriffa zu. Die Künstlerin macht erstaunliche Beobachtungen, so liegen den unsinnig wirkenden Verspannungen unter der Brücke Ausbesserungen über zwei Jahrhunderte zugrunde. Bemerkenswert ist auch der bauliche Pragmatismus auf Teneriffa. Die Gebäude fügen sich in das Felsgestein ein und sind dort bis zur steil abfallenden Küste geführt. Die bunten Fassaden sind verwittert. – Dieses „Rohe“ kennzeichnet auch die plastische Collage, die Ulla Bönnen dazu auf der Galerie erstellt hat. Aus profanen Baumaterialien wie Karton, Wellpappe, Kunststoffen und Holzplatten in Verbindung mit Fotografien und Geäst hat sie das Modell eines Hotels an der Grenze von Solidität und Fragilität, gestufter Struktur und chaotischen Anbauten, geschlossener Fassade und geöffneter Oberfläche geschaffen. In einem Fach wachsen Zweige wie in einer Wunderkammer empor. Auf einer Rückwand zeigt eine Fotografie den schweifenden Blick durch ein luxuriöses Wohnzimmer mit dem Panorama auf das Meer, welches selbst bis auf einen Sessel leer ist; an der Seite breiten sich Äste und Pflanzen aus: Die Natur erobert sich ihren Raum von der Zivilisation zurück. Alles greift in der Skulptur ineinander. Die weiße Säule auf einem Foto scheint, eingeklemmt zwischen den Fächern, ein solches tatsächlich zu tragen. All das ergibt keine negative Sicht, vielmehr handelt es sich um analytische, oft poetisch vorgetragene Zustandsbeschreibungen, die ästhetische Momente fokussieren.
Ulla Bönnen wurde 1963 in Bocholt geboren. Sie hat an der Kunstakademie Nürnberg und am College of Art in Edinburgh studiert, in Köln lebt sie seit 1993. Die Collage und die Montage erweisen sich bei ihr durchgängig als zentrale Verfahren, in den letzten Jahren bevorzugt mit ausrangiertem Mobiliar – im besonderen Stühlen –, aus denen sie Skulpturen entwickelt, in die sie auch Fotografien integriert. In Köln war sie zuletzt im Kjubh gemeinsam mit Claudia Larissa Artz, Thomas Kemper und Wolfgang Lüttgens vertreten, mit denen sie seit einigen Jahren eine Ausstellungsgemeinschaft bildet. Wunderbar, dass ihre Werke jetzt auch umfassend zu sehen sind.
„Ulla Bönnen – there's a silver lining to every cloud“ | bis 18.2. | artothek | 0221 22 12 23 32
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