In Luxemburg, Thionville, Lüttich und in Düsseldorf haben Angie Hiesl und Roland Kaiser ihr Projekt „Aquamarin.50678“, eine Mischung aus Installationen und Performances, schon realisiert. Nur vor der Haustüre, im Rheinauhafen, dort, wo die beiden im Rhenania über das Jahr hinweg in ihrem Atelier neue Arbeiten austüfteln, konnte das poetische Wasserspiel noch nicht gezeigt werden. Die Kunststiftung NRW, die immer öfter zwischen Rhein und Ruhr in die Rolle eines Notarztes für künstlerische Belange gedrängt wird, machte es dann doch möglich. Angesichts ihres 25-jährigen Bestehens beschenkte sich die Stiftung selbst, so dass „Aquamarin.50678“ in Zusammenarbeit mit der SK Stiftung Kultur unter deren Label SommerKöln veranstaltet werden konnte.
Eine schöne Gelegenheit für die Kölner, das Areal unterhalb der Kranhäuser kennenzulernen, das über viele Jahre hinweg vom Bauschutt beherrscht wurde und nun zur piekfeinen Immobilienadresse mutiert ist, die nicht gerade zur Volksfeststimmung anregt. Immerhin steht hier majestätisch wie eine Pyramide die stählerne Treppe von Kaiser und Hiesl, von der das Wasser munter über die Stufen fließt. Eine Installation, wie gemacht für den schmucklosen Hafenkai, auf dem es unter der Woche eher trist zugeht. Nun jedoch ist er belebt, denn die Kölner strömen über vier Tage hinweg in das Areal. Vieles findet gleichzeitig statt. Neben der Treppe steht ein Sessel aus dessen Sitzfläche des Wasser sprudelt. Wer wird sich als erster bei der sommerlichen Hitze darauf setzen? Die Passanten haben ihre Handy-Kameras schon gezückt, als sich eine der Tänzerinnen des sechsköpfigen Ensembles auf dem Sessel räkelt. Mit dem eigenen Voyeurismus wird man hier als Besucher immer wieder konfrontiert. Etwa dann, wenn die Vielzahl von Geräuschen lockt, wie das Blubbern einer Quelle, das aus den Kübeln mit Zierbüschen dringt, oder die Fließgeräusche einer Haushaltsspüle, die mit einem Mikrofon in allen Ecken des Hafens zu vernehmen sind.
Die Künstler und Tänzer des Ensembles zeigen, welch sinnliche Momente uns das Wasser bescheren kann. Dabei kommt es dann durchaus vor, dass man sich auch einmal in die Hosentaschen spuckt. Seine Unschuld hat das Wasser gleichwohl verloren, seit Konzerne wie Nestlé weltweit Quellen aufkaufen. Wasser ist zum kommerziellen Gut geworden. Die über den Kai verteilten Stationen mit etikettierten Wasserflaschen geben darüber beredte Auskunft. Angie Hiesl und Roland Kaiser werfen einen Blick auf die Funktionen und Eigenschaften dieses faszinierenden Elements. Es wird getanzt, bis die Elfen aus dem lichten Blau der Wasserflaschen auftauchen. Glasscheiben werden betanzt und man hört die Geräusche rollender Glasflaschen auf dem Beton. Vier Tage entfesselten Hiesl und Kaiser dieses freundliche Spektakel, wobei sich der Charakter der Aktionen mit dem Wetter veränderte. Beneideten viele Besucher die Tänzer während der heißen Tage um die tropfnassen Kostüme. Konnte man sich hingegen während der kühlen Tage nur schaudernd vorstellen, wie die Akteure in ihren nassen Klamotten gefroren haben müssen. Ein Erfolg ist „Aquamarin.50678“ nicht alleine, weil dieses Spektakel eine lustvolle Begegnung mit dem nassen Element bietet, die sich gleichermaßen verspielt wie reflektiert zeigt. Darüber hinaus lud die Performance zur Entdeckung eines Fleckchens innerhalb der Kölner Stadtlandschaft ein, das in der Geschichte der Stadt eine bedeutende Rolle spielt und von dem aus man heute einen tollen Blick über den Rhein hat. Es wäre ein Glück für Köln, wenn Hiesl und Kaiser diesem Wasserballett weitere Stadteroberungen folgen lassen würden.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Kunst greifbar machen
Das Palais Temporär und die performativen Künste in Köln – Spezial 09/18
Tischsitten to go!
Outdoor-Performance „Forks in the City“ von Angie Hiesl + Roland Kaiser – Auftritt 09/18
So wie wir sind
tanz nrw 17: „Fat Facts“ von Angie Hiesl und Roland Kaiser – Bühne 05/17
Das Patriarchat bei den Eiern
„Katharina von Bora – Von der Pfarrfrau zur Bischöfin“ im Bonner Frauenmuseum – Kunst 04/17
Der Ort des Unvorhersehbaren
Tanz auf dem Bordstein unserer Städte – Tanz in NRW 12/16
Das sinnliche Altersheim
Peeping Tom zeigte großartiges Tanztheater mit Humor – Tanz in NRW 12/14
Besuch bei Alice
Das Flow Dance Festival gewährt intimen Blick in Produktionsprozesse – Tanz in NRW 07/14
Puppen gefesselt
„Stillleben“ mit Kindesmissbrauch - Theater am Rhein 01/13
Der Aufstand der Poller
Die Tanz-Performance „Dressing the City und mein Kopf ist ein Hemd“ von Angie Hiesl und Roland Kaiser – Bühne 08/11
Kein Stillstand
Aufbruchsstimmung in der Kölner Tanzszene - Tanz in NRW 09/11
Im Kreisrund sind alle gleich
4. Ausgabe des Festivals Zeit für Zirkus – Tanz in NRW 11/24
War das ein Abschied?
Sônia Motas „Kein Ende“ in den Kölner Ehrenfeldstudios – Tanz in NRW 10/24
Supergau?
Die TanzFaktur steht wieder einmal vor dem Aus – Tanz in NRW 09/24
Kaffee, Kuchen, Stacheldraht
12. Tanz.Tausch Festival in der Kölner TanzFaktur – Tanz in NRW 08/24
Wunderbar: alles ohne Plan
„Leise schäumt das Jetzt“ in der Alten Feuerwache – Tanz in NRW 07/24
Vor der Selbstverzwergung
Ausstellung zu den „Goldenen Jahren“ des Tanzes in Köln – Tanz in NRW 06/24
Philosophie statt Nostalgie
Das Circus Dance Festival in Köln – Tanz in NRW 05/24
Das Unsichtbare sichtbar machen
Choreographin Yoshie Shibahara ahnt das Ende nahen – Tanz in NRW 04/24
Tennismatch der Kühe
„Mata Dora“ in Köln und Bonn – Tanz in NRW 03/24
Kommt die Zeit der Uniformen?
Reut Shemesh zeigt politisch relevante Choreographien – Tanz in NRW 02/24
Am Ende ist es Kunst
Mijin Kim bereichert Kölns Tanzszene – Tanz in NRW 01/24
Tanz auf Augenhöhe
„Chora“ in der Tanzfaktur – Tanz in NRW 12/23
Eine Sprache für Objekte
Bundesweites Festival Zeit für Zirkus 2023 – Tanz in NRW 11/23
Die Sprache der Bewegung
Die Comedia lockt das junge Publikum zum Tanz – Tanz in NRW 10/23
Kinshasa und Köln
„absence#4“ im Barnes Crossing – Tanz in NRW 09/23