Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
4 5 6 7 8 9 10
11 12 13 14 15 16 17

12.577 Beiträge zu
3.805 Filmen im Forum

Szene der Performance „Dressing the City und mein Kopf ist ein Hemd“
Foto: Presse

Der Aufstand der Poller

30. August 2011

Die Tanz-Performance „Dressing the City und mein Kopf ist ein Hemd“ von Angie Hiesl und Roland Kaiser – Bühne 08/11

Zwei Hosenbeine mit zwei schwarzen Turnschuhen ragen gestikulierend in die Luft, während unten ein beigefarbenes Top auf zwei schwarzen Handschuhen zu gehen scheint. Ein merkwürdiges Upsidedown-Wesen tänzelt da über die Sudermannstraße. Vor dem Geldautomat der Stadtsparkasse am Ebertplatz hält es an, macht einen Kopf- oder eher Fußstand, um seine vermeintlichen Finger an die Tastatur zu bringen. Danach dreht es sich wieder in die Ausgangsstellung und schlendert gemächlich weiter zum Eigelstein.

„Dressing the City und mein Kopf ist ein Hemd“ nennen Angie Hiesl und Roland Kaiser ihr neues sitespecific-Projekt, das die gewohnte Wahrnehmung aus den Angeln hebt. Wo oben oder unten ist, was öffentlich oder privat ist, wo der Körper endet und die Kleidung beginnt, das lässt sich nicht so leicht sagen. Hatte das Performance-Duo im ersten Teil seines Projektzyklus’ „Urban-City-Urban“ noch die menschlichen Ordnungssysteme anhand von gestapelter Tupperware und Aktenordnern untersucht, so widmen sie sich diesmal dem Verhältnis von Körper, Kleidung und Stadtraum. Alle drei Felder überlagern sich auf vielfältigste Weise – exakt in den Grauzonen ist „Dressing the City“ angesiedelt. Der Wollpullover der Tänzerin Aoi Nakamura sieht ziemlich unförmig aus, er umspannt nicht nur den schmalen Körper der Japanerin, sondern einen gelben Briefkasten gleich mit. Wer trägt hier was bzw. wen? Ist der Briefkasten nicht eher der Pulloverträger, der die Tänzerin unterschlüpfen lässt? Fast hilflos hängt sie in den Seilen bzw. Fasern, die Beine dehnen und strecken sich knapp über dem Boden; der Kopf lugt gerade noch aus der Halsöffnung. Oder ist Aoi Nakamura eine bucklichte Christel von der Post, die unter ihrer Last ächzt?

„Die meisten Details im architektonischen Raum haben die Aufgabe, Abstände zu regulieren“ sagt der Architekturtheoretiker Wolfgang Meisenheimer. „Dressing the City“ dagegen lässt genau diese Details mit dem Körper und der Kleidung verschmelzen. Da werden Grenzen verwischt, Unbelebtes geht in Belebtes über. Manchmal sogar erscheint das Unorganische plötzlich belebt. Der Tänzer Mack Kubicki trägt einen Stapel Jeans wie ein südlicher Lastenträger über dem Kopf und streift sie nach und nach als Husse über die Straßenpoller an der Sudermannstraße. Allmählich entsteht eine kleine Armee der Einbeinigen, die an Morgensterns sarkastisches Weltkriegsgedicht „Ein Knie geht einsam um die Welt. Es ist ein Knie, sonst nichts!“ denken lässt. Oder haben die splitternackten Metallpfosten sich plötzlich selbst erkannt und schamvoll eine Hose angezogen? Oder geht es um den kommenden Aufstand der Poller?

Die zehn Tänzer und Performer setzen mit den schrägen Bildern und Aktionen immer neue Assoziationen frei. Angie Hiesl und Roland Kaiser mangelt es dabei kaum an Phantasie, ob da ein Mann mit nacktem Oberkörper sich kopfüber in einer Baumgabelung mit Strümpfen eingerichtet hat oder eine Frau beim Laufen um einen Baum (der Erkenntnis) nach und nach ihre Badeanzüge auszieht. Die Bilderflut richtet sich allerdings immer mal wieder allzu wohlig in ihrer eigenen Skurrilität ein. Wenn da ein Performer komplett eingehüllt in einen gelben Kapuzenpulli über die Straße kugelt, ist das kaum mehr als putzig. Auch die Wäscheleine aus BHs, in die sich eine Frau widerstrebend einwickelt, zielt allzu vordergründig auf weibliche Dressingcodes und -zwänge ab. Man wird den Eindruck nicht ganz los, dass der Fokus des Themas zu groß gewählt wurde. Schon das Wechselverhältnis von Körper und Kleidung hätte für einen Abend ausgereicht, genauso die Frage, wie Stadtraum und Bewegung sich aneinander reiben. Beides zusammen ist in seiner Bedeutungsvielfalt und Multiperspektivität kaum zu bewältigen. Nichtsdestotrotz ist es ein unterhaltsamer Nachmittag, der ungewohnte Anblicke bietet – falls es nicht regnet.

weitere Termine:
Heinrich-Böll-Platz, 26.8. , 1./2.9. um 16 Uhr
Ebertplatz, 27.8. um 17 Uhr, 3.9. um 17 Uhr

weitere Informationen:
www.angiehiesl.de
| Tel.: 01578 - 8942438

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Alter weißer Mann

Lesen Sie dazu auch:

Kunst greifbar machen
Das Palais Temporär und die performativen Künste in Köln – Spezial 09/18

Tischsitten to go!
Outdoor-Performance „Forks in the City“ von Angie Hiesl + Roland Kaiser – Auftritt 09/18

So wie wir sind
tanz nrw 17: „Fat Facts“ von Angie Hiesl und Roland Kaiser – Bühne 05/17

Das Patriarchat bei den Eiern
„Katharina von Bora – Von der Pfarrfrau zur Bischöfin“ im Bonner Frauenmuseum – Kunst 04/17

Der Ort des Unvorhersehbaren
Tanz auf dem Bordstein unserer Städte – Tanz in NRW 12/16

Wie man das Wasser zum Rhein trägt
Hiesl und Kaiser bieten im Rheinauhafen eine unbeschwerte Performance – Tanz in NRW 07/15

Puppen gefesselt
„Stillleben“ mit Kindesmissbrauch - Theater am Rhein 01/13

Kein Stillstand
Aufbruchsstimmung in der Kölner Tanzszene - Tanz in NRW 09/11

Bühne.

Hier erscheint die Aufforderung!