Ein Projekt ist ein Projekt ist ein Projekt. Büchners Woyzeck als Projekt? Simon Solberg inszeniert eine Endzeit-Erde als umgestürzten Hafen, da hat er sich wohl hingesetzt und geweint, und da sitzt er wohl auch noch und ist ganz allein. Schade. Beschäftigung. Beschäftigung tut nicht wirklich not, aber der Deutschen Wirtschaft schon. Woyzeck das Projekt in der Halle in Bonn-Beuel, die letzte Inszenierung dort, ein Satz wird ihr gewidmet, die Produktion irgendwie nicht. Die Schauspieler geben alles, doch wirken sie verloren in dem Jürgen-Kruse-Gedächtnis-Bühnenbild mit Joy-Division-Attitüde. Mehr Pop, wollte man rufen, doch auf der Bühne rappelt es sich durchs antikapitalistisch politisierte Büchner-Projekt – als gymnasiale Theater-AG-Aufführung wär es fast lustig gewesen.Dennoch, 20 Jahre zu spät, bleibt zu spät. In der Halle: They do it like they do on the Discovery Channel.Außer Atem, aber nicht atemlos und sicher nicht aus der Puste.
Aber von vorn: Die Protagonisten Woyzeck (Serkan Kaya), Andres (Robert Höller), Hauptmann (Laura Sundermann), Doktor (Hajo Tuschy) und Marie (Maike Jüttendonk) treten auf, nein sie rutschen von der Schräge ins Wasserbassin. Woyzeck auf glitschigem Untergrund ist zeitgenössisch, in Dortmund war es einst sogar blutgetränkte Kunstschnee-Matsche, hier müssen alle Wasser treten für die – Beschäftigung –. Dabei will Woyzeck doch nur seine Marie, die aber lieber neue Schuhe will, oder Kleider, oder Andres oder „den Mann vom Paketdienst“. Oder doch den Tambourmajor, der nie kommt? Man kriecht durch die Stellagen, man klettert auf einsame Baumhäuser und einsam läuft das Wasser die Rutsche runter. Maike Jüttendonk, die eine großartige Marie ohne Kind abgibt, die ihren Woyzeck immer abzuhalten versucht vom Hamsterrad, das in der Solberg-Inszenierung eine zentrale Rolle hat, Rhön hin oder her, der Woyzeck leidet eh, aber lustig, mit überdimensionierten Erbsen, anglophil auch als „peas“ bekannt. Es gibt sogar Pea-Bull in Dosen zum Fliegen, es gibt Pea-überall. Sicher, in der Lautsprache ist das englische „to pee“ ja nicht weit entfernt. „Geh er pissen, Woyzeck“, sagt der Doktor mit Hang zum Erbsen-Sadismus. Doch der arme Soldat kann nicht. Er hat schon ganz dicke Blähungskugeln im Bauch, ja das ist lustig. Eine lustige – Beschäftigung –. Wer wollte da nicht hirnwütig werden. Manche Büchner-Sätze sind so schön, die kann man auch mehrfach verwenden. Also: „Du bist hirnwütig, Franz“, sagt Marie und fragt, ob sie die letzte Szene mal nackt spielen soll. Aber diese Beschäftigung verlangt ja niemand. Und im Hintergrund leuchtet das Kreuz Christi und baumelt schon der Galgen.
Es strömt auf das Finale zu. Der betrogene Woyzeck hat das Messer, Marie die Courage, beide hatten den Kopf oft über Wasser, nun müssen sie den letzten Weg. „Franz halt ein! Um des Himmels willen!“ Doch der hirnwütige, was tut er da. „Cut“, tönt es laut. Es wird dunkel. Der Narr bleibt unter Wasser, waschen muss sich ja auch keiner. Video aus, Stille. „We canbeat them, just for one day.“
„Woyzeck“ | R: Simon Solberg | 1., 8., 16., 30.4. je 19.30 Uhr, 10., 24.4. je 18 Uhr | Theater Bonn, Halle Beuel | 0228 77 84 07
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Endsieg für Ödipus
Elfriede Jelineks „Am Königsweg / Endsieg“ in Bonn – Prolog 01/25
Ausweg im Schlaf
„Der Nabel der Welt“ in Köln – Theater am Rhein 01/25
Körperbilder und Kampfgeist
„Die Hand ist ein einsamer Jäger“ am Theater Bonn
Im Land der Täter
„Fremd“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 12/24
Tatort: Altarbild
„Tosca“ am Theater Bonn
Kampf gegen Windmühlen
„Don Quijote“ am Theater Bonn – Prolog 11/24
Den Schmerz besiegen
„Treibgut des Erinnerns“ in Bonn – Theater am Rhein 07/24
„Wir können nicht immer nur schweigen!“
Jens Groß inszeniert Heinrich Bölls Roman „Frauen vor Flusslandschaft“ am Theater Bonn – Premiere 06/24
Geschlossene Gesellschaft
„Flight“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 01/24
Mörderische Gesellschaftsstruktur
Georg Büchners „Woyzeck“ am Bonner Schauspiel – Auftritt 01/24
Der unfassbare Gott
Oper Bonn zeigt Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ – Oper in NRW 12/23
„Ein interdisziplinäres großes Theaterhaus für die Stadt“
Die Dramaturgin Stawrula Panagiotaki übernimmt die Leitung der Studiobühne – Premiere 11/23
Licht in der Finsternis
„Brems:::Kraft“ in Köln und Mülheim a.d. Ruhr – Theater am Rhein 01/25
Klamauk und Trauer
„Die Brüder Löwenherz“ in Bonn – Theater am Rhein 01/25
Ein Bild von einem Mann
„Nachtland“ am Theater Tiefrot – Theater am Rhein 12/24
Fluch der Stille
„Ruhestörung“ am TdK – Theater am Rhein 12/24
Das Mensch
„Are you human“ am TiB – Theater am Rhein 12/24
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Bis der Himmel fällt
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 09/24
Feder statt Abrissbirne
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 07/24
Der Untergang
„Liquid“ von Wehr51 – Theater am Rhein 07/24
Gefährlicher Nonsens
Kabarettist Uli Masuth mit „Lügen und andere Wahrheiten“ in Köln – Theater am Rhein 07/24