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Probenfoto „Vierzig Leben“
© Meyer Originals

„40 Geschichten reduziert auf vier Personen“

28. August 2014

Heinz Simon Keller bringt Navid Kermanis „Vierzig Leben“ auf die Bühne – Premiere 09/14

Verglichen mit seinem Bekanntheitsgrad ist das Werk von Navid Kermani auf den Theaterbühnen wenig präsent. Halbszenische Lesungen und Vorträge gibt es zwar zuhauf, doch Inszenierungen sind selten – was nicht zuletzt auch an den Büchern liegt. Am Theater der Keller unternimmt jetzt Hein Simon Keller den Versuch, den Prosaband „Vierzig Leben“ auf die Bühne zu bringen. Ein Buch mit vierzig Geschichten, die mit Überschriften wie „Von der Tugend“, „Von der Freiheit“ oder „Von der Schwermut“ daherkommen. Das klingt zwar nach dem Zentnergewichte der Ethik, steigt aber dann tief in die Banalität des Alltags. Was Kermani dort aufspürt, sind charakterliche Verschleifungen, die allen ethischen Ansprüchen Hohn sprechen. Da kann ein junger Mann Wochen damit verbringen, einen einzigen Flug zu buchen. Eine Wissenschaftlerin schläft mit dem Leiter einer Berufungskommission. Ein Backgammonspieler philosophiert über den falschen Zug zum Sieg. Ob man es als religiöse Epiphanie im Alltag oder als ethische Ausrutscher interpretiert, eines verlieren die Figuren allerdings nie: ihre Würde.

choices: Wie kamen Sie auf die Idee, ausgerechnet Navid Kermanis Prosaband „Vierzig Leben“ auf die Bühne zu bringen?
Heinz Simon Keller:
Die Idee geht zurück auf unseren Wunsch, verstärkt Kölner Autoren zu spielen. Da liegt Navid Kermani auf der Hand, später in der Spielzeit wird Marie T. Martin einen Epilog zu Dürrenmatts „Das Versprechen“ schreiben. Ich bin mit Navid Kermani auf der Lit.Cologne ins Gespräch gekommen und er hat schnell „Vierzig Leben“ vorgeschlagen. Das seien doch Kölner Geschichten. Ich habe das gelesen und dann beschlossen, das bei uns auf die Bühne zu bringen.

In welcher Hinsicht sind die Geschichten für Sie kölnspezifisch?

Heinz Simon Keller
Foto: Laura Schleder

Heinz Simon Keller hat in Salzburg studiert und war dann als Schauspieler an diversen Theatern engagiert. 1996 gründete er das Theater Blackbox, seitdem arbeitet er als freier Schauspieler und Regisseur und ist regelmäßig in Film und Fernsehen zu sehen. Seit der Spielzeit 2013/14 leitet er das Theater der Keller.

Das ist ein wichtiger Aufhänger für uns. Bei Kermani gibt es ständig diesen Lokalbezug, zum Beispiel Nordsüdfahrt, Musicaldome, FC. Die sich darauf beziehenden Geschichten bringt er zusammen mit mystischen Erzählungen mit einem orientalisch-sufischen Hintergrund. Der Köln-Bezug wird bei uns zunächst über die Bühne hergestellt: ein Köln-Altar, eine Art Reliquienkammer wie im Dom, aber in einer sehr individuellen Variante. Ein Clubraum mit einem Altar, auf dem Sachen liegen, die man mit Köln verbindet. Und vor diesem Hintergrund gibt es eine bestimmte Art zu erzählen, miteinander zu kommunizieren, mit Dingen und Problemen umzugehen, die vielleicht typisch kölsch ist.

Wie kamen sie auf die Idee, den Text auf vier Figuren aufzuteilen?

Man kann dieses Buch natürlich als Lesestück mit Installationscharakter machen. Doch mein Interesse gilt nicht dem Dokumentar- oder dem performativen Theater, sondern einem Theater, in dem Geschichten und die Beziehung der Figuren im Zentrum stehen. Entscheidend war dann die Mitarbeit von Marcus Seibert, dem Drehbuchautor, Homerübersetzer und Fernsehautor, der die Grundklammer des Abends gefunden hat. 40 Geschichten reduziert auf vier Personen.

Wie sieht dieses Figurensetting aus?

Es war mein Wunsch, eine Grundsituation zu finden. Es geht um den Tod von Thorsten, der selbst in zwei Geschichten vorkommt. Nach der Beerdigung treffen sich die vier Figuren in einem Clubraum, den wir mit den besagten Köln-Utensilien ausstatten. Anke, Antun, Christian und Rolf befinden sich alle in der Midlife-Crisis, sie betrauern einen Toten und geraten dadurch ins Erzählen und Fabulieren. Die Verdichtung ist Marcus Seibert sehr gut gelungen und erinnert gelegentlich an „Szenen einer Ehe“.

Sind die Figuren der Geschichte entnommen oder haben Sie die erfunden?

Die Figuren stammen alle aus den Geschichten. Kermani hat darauf bestanden, dass die Namen erhalten bleiben. Das sind Menschen von heute, der eine ist Professor, der andere ist Wirt, der dritte ist ein Pianist, BMW-Fahrer und Angeber und die Frau dazwischen.

Wie hängen die Geschichten dann zusammen?

Wir kommen von der Trauer über die Ehekrise in dieses absonderliche Fabulieren, um dann wieder über die Personen und die Ehekrise zum FC kommen. Das hatte eine schlüssige Dramaturgie. Jetzt haben wir allerdings festgestellt, dass das Stück eher einen Zustand beschreibt und die erzählten Geschichten austauschbar sind. Anfang und Ende sind zwar klar, doch die vierte Geschichte kann auch an Stelle dreizehn kommen. Das ist eine große Herausforderung und eine völlig neue Erfahrung für mich. Ich komme ja vom konventionellen Erzähltheater. Jetzt stellt sich mir aber die Frage, was das Geschichtenerzählen soll, wenn wir fragen, was die Menschen zusammenhält, wenn wir den Zustand einer Gesellschaft zeigen.

Hat Navid Kermani an der Fassung mitgearbeitet?

Navid Kermani hat die Fassung natürlich gelesen, sich daran beteiligt und szenische Ideen eingebracht. Er war aber sehr großzügig.

Kermanis Stil in diesem Buch ist keineswegs einfach, gelegentlich fast elliptisch. Wie sind Sie damit umgegangen?

Wir haben stark eingegriffen, den Text eingedampft, haben den Konjunktiv in eine direkte Ansprache umgewandelt. Marcus Seibert hat die Geschichten zum Teil auch gestrafft und verknappt und ihnen so eine größere Direktheit verliehen. Teilweise sind wir aber auch wieder auf das Original zurückgekommen, manchmal verträgt und fordert die Ruhe und Konzentration einer Szene geradezu die anspruchsvolle Sprache Kermanis.

Wo haben Sie bei Kermanis Geschichten eingehakt?

Mich interessiert diese Mischung, in der das Besondere mit dem Alltäglichen zusammengebracht wird. Meistens beginnen wir viele Dinge mit einem hohen Anspruch, dann scheitern wir, trotzdem müssen wir essen, wir streiten uns. Das sehe ich auch in dieser Ehegeschichte, wie man brilliert und mit der Beziehung nicht zurechtkommt und sich dann arrangiert. Wie geht das zusammen? Es geht um diese Spannung zwischen dem hohen Ton von Kermanis Geschichten und den Menschen im Büro oder auf der Straße, die ganz anders reden. Diese Widersprüchlichkeit interessiert mich sehr.

„Vierzig Leben“| R:Heinz Simon Keller | 4.9.,(P),10.9.,12.9.,14.9.,18.9.,21.9.20 Uhr | Theater der Keller | 0221 27 22 09 90

INTERVIEW: HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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