ChatGPT lag noch in weiter Ferne: 1999 brachten die Wachowskis ihren Film „Matrix“ in die Kinos, in dem künstliche Intelligenz (KI) die Menschen besiegt und in eine computergenerierte Traumwelt versetzt hat. Der Film wirkt wie eine Vorwegnahme aktueller Ängste. Das Theater der Keller eröffnet die neue Spielzeit mit dem Stück „Die Matrix“. Ein Gespräch über digitale Bevormundung, die poetische Kraftder Träume und die Sehnsucht von Maschinen.
choices: Herr Keller, der Titel „Die Matrix“ erinnert an die Sciencefiction-Filmreihe der Wachowskis. Wie verhält sich Ihr Abend dazu?
Heinz Simon Keller: Der Begriff „Matrix“ ist durch den Film verbreitet worden. Matrix bedeutet aber auch Gebärmutter, steht für ein System der Algorithmen, Matrix ist auf viele Bereiche anzuwenden. Es geht bei uns allerdings nicht um die die rote oder blaue Pille wie bei „Matrix“, wir wollen nicht den Film der Wachowskis auf die Bühne bringen. Uns beschäftigt eher der Konflikt zwischen den Algorithmen der künstlichen Intelligenz und der Fähigkeit, Mensch bleiben und träumen zu können. Wir versuchen den Unterschied zwischen Mensch und Maschine darin zu bestimmen, dass der Mensch die Fähigkeit hat zu träumen. Eine KI kann das nicht.
Bei Ihnen ist die Matrix keine durch die KI hergestellte Scheinrealität, sondern eine oppositionelle Gemeinschaft. Was sind das für Menschen: Aussteiger? Aktivisten? Rebellierende Alltagsmenschen?
Die Matrix ist eine Gruppe von Menschen, die das Menschsein bewahren wollen. Das sind Wünschende, das sind Suchende. Es geht dabei um die Sehnsucht nach Rausch und Selbstbestimmung, also dass man im Rausch etwas über sich erfährt. Die Gruppe wird von einem Meister angeleitet. Wie in jeder Gruppe gibt es Eifersucht, weil man um den Posten der Assistenz konkurriert; es gibt Beziehungen unter den einzelnen Mitgliedern. Und dann kommt eine fremde Person in die Gruppe, die – darin liegt eine unserer Pointen – das ganze Gefüge der Gruppe durcheinanderwirbelt.
„Der Unterschied zwischen Mensch und Maschine: Der Mensch hat die Fähigkeit zu träumen“
Eine dionysische Figur?
Nein, das ist durchaus auch ein Suchender – allerdings eine Maschine, das ist die Behauptung von uns, die die tiefe Sehnsucht verspürt, ebenfalls Mensch sein zu wollen. Und das spiegelt letztlich das Bedürfnis von allen Figuren, nämlich die Fragen: Wo komme ich her? Was macht mich aus? Wer bin ich? Auch die Maschine will das wissen. Das ist sozusagen das Salz in der Suppe.
Das klingt nach einem Zitat aus dem Film „Bladerunner“, wenn der Android, gespielt von Rutger Hauer, auf dem Dach eines Hochhauses im Regen sitzt und vom Verlust seiner individuellen Erinnerungen spricht.
Wir haben uns von vielen Filmen inspirieren lassen. Der letzte Satz in „Odyssee 2001“ beispielsweise lautet „Werde ich träumen?“. Es war mein Bedürfnis, Menschen zu zeigen, die eine große Sehnsucht haben, diese Kraft der Träume wieder zu erlangen, die poetische, die starke Kraft der Träume anzuzapfen. Es geht um den Umgang mit diesen Urkräften der Träume, also auch die Sprache dieser Freiheit wiederzufinden. Die Dramaturgin Ulrike Jansen hat wunderbar skurrile, abgründige, poetische und surreale Träume geschrieben. Mitunter ist die Kraft, wenn man träumt, so stark, dass man gar nicht mehr in die Realität zurück, sondern in diesem Schwebezustand, in diesem Traumzustand verharren möchte. Das war der Kern des Abends und Ulrike Janssen hat dann diese gesellschaftliche Klammer entworfen, dass die KI, die Roboter, die Algorithmen in unser Leben eingreifen.
„Wir haben uns von vielen Filmen inspirieren lassen“
Apropos KI, haben Sie in der Vorbereitung mit ChatGPT experimentiert?
Ja, aber die sind nicht wirklich gut. Wir haben sie zunächst auch drin gelassen, haben sie dann aber verändert, aber es ist sehr unbefriedigend. Wir haben uns dann entschlossen, das doch eher theatralisch und körperlich zu zeigen.
Durch Sciencefiction-Filme wie die angesprochenen sind wir einiges an Effekten gewohnt. Was kann die Bühne dem entgegensetzen?
Filme haben digitale technische Mittel zur Verfügung, damit können wir nicht konkurrieren. Wir haben auf der Bühne aber die Möglichkeit, über Musik, über sphärische Bewegungen und seltsame Aktionen eine Welt zu beschreiben, von der man eben nicht weiß, ob sie geträumt oder real ist. Ob diese Traumgemeinschaft selbst überhaupt real ist, obwohl man sie live sieht. Alles kann in der Schwebe bleiben und das lässt sich mithilfe von Licht und Videos auf die Bühne bringen. Und diese Fremdheit ist das Interessante im Theater, dass wir Spannung mit Charakteren erzeugen, die fünf Zentimeter über dem Boden schweben, dass eine Traumrealität und eine Wirklichkeit sich überlagern. Wir haben das Stück im Untertitel deshalb auch „Ein Traumspiel mit Musik“ genannt.
„Die Kraft des Theaters: Dass wir uns auf die menschliche Fähigkeit der Berührung wirklich einlassen“
Das spielt auf das gleichnamige Stück von Strindberg an, in dem die Tochter einer Göttin die Erde besucht und angesichts der in ihrem Leben keinen Sinn erkennenden Menschen zutiefst irritiert ist. Spielt das eine Rolle in Ihrem Stück?
Wir haben ja diese fremde Figur, die von außerhalb neu in die Gruppe kommt und nur „die Neue“ genannt wird. Tatsächlich gibt es da Berührungen.
Kann das Theater überhaupt noch mit der digitalen Welt mithalten? Der Versenkung in Träume entspricht ja durchaus auch das Versenken und sich Verlieren in der digitalen Welt?
Die digitale Übermannung und Bevormundung durch die Social Media-Welt ist geprägt von einer umfassenden sozialen Verkümmerung. Das Theater dagegen ist für mich ein Ort, wo wir uns durch die Kraft der Schauspieler an das Menschsein immer wieder erinnern; in dem wir aber auch zeitgenössische Themen wie das Verhältnis von Mensch und Maschine behandeln können; die Kraft des Theaters besteht darin, dass wir uns auf die menschliche Fähigkeit der Berührung wirklich einlassen. Und dann man erlebt einen Abend in einer Gemeinschaft, so zufällig sie auch sein mag, ein Abend, der im besten Sinne berührt und zugleich irritiert, der poetisch verführt.
Die Matrix | R: Heinz Simon Keller | 25. (P), 26., 28.8., 13., 14.9. | Theater der Keller | 0221 31 80 59
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