Leicht haben es die streitbaren Parteien in Huisum nicht, wenn sie den Gerichtssaal von Dorfrichter Adam betreten wollen. Der Saal ist nur kriechend, in einem anstrengenden Akt zu erreichen. Der unstudierte Jurist Adam hat große Hürden aufgebaut, um sich seinen lockeren Lebenswandel nicht durch Gerichtsverhandlungen vergällen zu lassen.
Regisseur und Bonner Noch-Intendant Klaus Weise setzt in seiner letzten Inszenierung auf sichtbare körperliche Gewalt. Und damit dem Prozess, der in Heinrich von Kleists Stück „Der zerbrochene Krug“ die Hauptsache darstellt, auch alle Zuschauer folgen können, macht Weise das eigentliche Ende zum Prolog: Eve (Anastasia Gubareva) erzählt die wahre Geschichte der Nacht, in welcher der Krug zertrümmert wurde, und die Gründe für ihr merkwürdiges Verhalten, mit dem sie verzweifelt versucht hat, ihr bedrohtes Glück wieder zu kitten. Diese Szene wird sonst gern im Dunkeln gehalten und auch Weise hat sie konsequent vernebelt: Dunkle Gestalten mit Richterperücken umgarnen Eve.
Und dann ist plötzlich Pause. Verwirrung im Saal! Kaum einer möchte schon jetzt, nach gut zehn Minuten, den obligatorischen Premierensekt trinken. Wieder zurück, teilen zwei große Segel den Raum, in dem die Gerichtsakten verstreut herumliegen oder als Stuhl zweckentfremdet werden. Ansonsten ist der Raum leer. Nur Adam (Ralf Drexler) liegt nackt und augenscheinlich verletzt auf dem Boden, während ihn die einfältige Margarete streichelt.
Jetzt geht es richtig los, das Lustspiel über einen Richter, der eine Straftat verhandeln muss, die er selbst begangen hat. Gerichtsrat Walter (großartig: Bernd Braun) betritt die Bühne, ein Jurist neuen Typs, der nicht nur die eigentümlichen Huisumer Statuten überarbeiten, sondern auch dafür sorgen soll, dass die Amtsausübung der Dorfrichter in neue Bahnen gelenkt wird. Walter soll zwar nur beobachten und nicht richten, doch übernimmt er peu à peu das Verfahren um den zerbrochenen Krug. Wie die Zuschauer bereits wissen, der Gerichtsrat hingegen nicht – lediglich der Gerichtsschreiber hat eine Ahnung –, ist der zerbrochene Krug nur ein Teil eines komplexeren Vorfalls.
Weise lenkt die Beteiligten mit der von ihm entwickelten Choreografie geschickt über den hölzernen Dachboden und wirft den verzweifelten Adam in einen Kampf um Posten und Ehre, den er nicht gewinnen kann, mag er auch noch so viel Niersteiner Wein und Limburger Käse in seinen Kontrahenten hineinstopfen. Ein amouröses Abenteuer, eine ausgeplünderte Kasse und sein absolutes Nichtverständnis der Prozessordnung bringen in so weit in Bedrängnis, dass er sich schließlich nur durch Flucht entziehen kann. Am Ende liegt er wieder nackt da, im Schnee.
Der Inszenierung von Weise geht im Laufe der Zeit die Puste aus, denn auf den viel versprechenden Anfang folgt viel Tristesse, die lediglich von einigen originellen Regie-Häppchen und einem interessanten Kostümmix (Nina Kroschinske) durchbrochen wird. So muss man urteilen, dass die Handlung dem großartigen visuellen Eindruck leider nicht folgen kann. Die ausgezeichneten Schauspieler haben daran keine Schuld. Kleist sowieso nicht!
„Der zerbrochene Krug“ | Do. 2.5. 19.30 Uhr | Kammerspiele Bonn | 0228 77 80 08
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