Irgendwo hinter der achtzehnten Wolke von links muss es liegen, dieses US-Amerikanische Paradies, dessen Oberfläche ausschließlich aus Wachstuch mit Blümchenmuster besteht. Ein Material, an dem so gut wie nichts anhaftet, das leicht zu reinigen und sehr widerstandsfähig scheint. Auf dieser künstlichen Oberfläche inszeniert Alice Buddeberg ihre Version von John Steinbecks Wälzer „Jenseits von Eden“ von 1952. Das wiederum ist eine sich kunstvoll über Generationen erstreckende Kain und Abel-Familiengeschichte, hinter der auch die eigentliche Frage steckt, ob das Böse an sich angeborenen sein könnte und ob der Mensch tatsächlich einen freien Willen hat. Einfluss auf die jeweilige Oberfläche hat er jedenfalls nicht, auch nicht in Buddebergs Inszenierung. Hinter jedem Wachstuch steckt ein neues. Hinter jedem Dekor, das Gleiche noch einmal. Es gibt also kein Entrinnen für die Nachfahren des biblischen Kain.
Zu Beginn müssen sich die Protagonisten noch in die Enge Connecticuts quetschen, der Osten ist karg und das Leben hart. Dennoch schafft man etwas Farmer-Wohlstand in der Familie, kommt wohl irgendwie auch zu unvermutetem Reichtum. Die Anfänge der Trasks Mitte des 19. Jahrhunderts markieren den Beginn eines Fluchs, der gut 60 Jahre lang alle verfolgt, die mit dieser Familie irgendwie verbandelt sind. Aus den Söhnen werden wieder Väter mit neuen Optionen, doch das Böse klebt scheinbar an ihnen. Buddeberg und ihre Dramaturgin Nina Steinhilber verschachteln nun die sechs Jahrzehnte und ihre vier Romanteile auf der Bühne, und das so geschickt, das aus dem epischen Steinbeck-Langatmer, nicht nur eine kurzweilige Familien-Tragödie, sondern auch ein spannendes „Bäumchen (ver)wechsel dich“-Spiel entsteht, wenn die großartigen Schauspieler Zeit, Raum und Rolle tauschen, während sie über wächserne Blumenfelder wandeln.
Das ist der Trick mit dem die Regie Auf- und Abgänge vermeidet, Spannung und natürlich auch etwas Verwirrung erzeugt und tatsächlich fast die ganze Geschichte unter drei Stunden erzählt. Denn bereits in der engen Puppenstube taucht das abgrundtief Böse auf. Sina Martens spielt Cathy, das bildschöne Mädchen, das erst den Hof und die Eltern abfackelt und dann beschließt frei zu sein. Dafür schwirren die Männer wie Motten, das Leben strahlt, bis sie durchschaut wird wegen eines Schluckes Alkohol! Zur Strafe wird sie von Big Daddy fast totgeprügelt, aber von den Trask-Söhnen gefunden. Das (weibliche?) Böse hat seine neuen Opfer gefunden. Und so geht es weiter durch die nächsten zwei Generationen. Dann endlich im offenen Kalifornien, im idyllischen Salinas-Tal, wo nix los ist, aber die Äpfel wachsen wie blöde. Auch hier spießiges Blümchenwachstuch wohin das Auge reicht.
Auch diese pseudokonservative US-amerikanische Grundhaltung (bis heute) ist sicher eine Ursache für die ganze Misere und das Missverständnis zwischen angeblicher Frauenhysterie und tatsächlicher Wertschätzung. Sophie Basse macht jedenfalls aus der wilden Cathy eine großartige Kate, die dieser Handlung eine neue Struktur gibt. Dass sich dann auch noch die Äpfel von ihren Stämmen zu lösen versuchen, ja auch das war klug, aber vielleicht auch etwas zu viel des Guten.
„Jenseits von Eden“ | Do 1.10., Fr 9.10., So 18.10., Fr 23.10. 19.30 Uhr | Kammerspiele Bonn | 0228 77 80 22
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