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„Werther“
Foto: Thilo Beu

Verblassen war nie eine Option

28. Januar 2016

Mirja Biel inszeniert modernen „Werther“ an den Bonner Kammerspielen – Theater am Rhein 02/16

Natürlich hat das einstige Leiden des Musikers Kurt Cobain irgendwie etwas von Goethes liebestollem Werther. Irgendwie bestimmt. Das war schon Tage nach seinem Tod klar. Und der Mythos seiner Pumpgun im Gartenhaus hält bis heute. Deep down inside we all got a rock’n’ roll heart (Lou Reed). Viele im Publikum jedenfalls, doch dummerweise werden auch von denen die meisten den berühmten Klub 27 überleben, auf die eine oder andere Weise, nicht zu vergessen all die toten Menschen die nicht würdig genug waren, ihm anzugehören. Die menschliche Natur hat eben ihre Grenzen. In den Bonner Kammerspielen jedenfalls mixt man momentan Kurt Cobains Tagebücher mit Johann Wolfgang Goethes fiktiven Briefen und erhält, wie überraschend, eine zeitgenössische Interpretation des alten Geheimratsecken-Loverboys, der merkwürdigerweise auch das 27. Lebensjahr überlebte – allerdings im Gegensatz zu Werther nicht als Rechtspraktikant, sondern schon als Geheimer Legationsrat. Deshalb wurde er ja auch fünf Jahre später geadelt. Kurt nicht. Aber der war ja auch kein Europäer.

Die Bonner Hausregisseurin Mirja Biel macht sich dennoch auf die Suche nach Parallelen der beiden wilden Geister und findet sie auch zwischen den Zeilen von Sex Pistols,Neil Young und Will Oldham. Entflammte Wesen sollen Werther und Kurt sein, „die an den Umständen, Regeln und Gepflogenheiten einer Gesellschaft zerbrechen und im selbstgewählten Tod den einzigen Ausweg sehen“, so das Theater. Naja. Allerdings ist es ein unterhaltsamer Abend, der nicht nur von den drei jungen Schauspielern lebt, auch vom schmalen Drumherum direkt hinter der Rampe. Und von den Videoeinspielungen, die meistens übergroße Portraitstudien des jeweils Betroffenen zeigen, das Theaterblut schön visualisieren und die Mimik unterstützen. Dabei haben Lotte (Johanna Falckner), Werther (Benjamin Berger) und Albert (Robert Höller) dies oftmals gar nicht nötig. Schon ihre Präsenz in der jeweiligen Rolle ist meist ausreichend.UndNeil Youngs „Hey Hey, My My“ sowieso. „It’s better to burn out than to fade away“. Ja diese Prämisse hätte unser alter Herr Geheimrat ja wohl auch gerne praktiziert, nur gab es eben damals so viel zu tun, dichten, Naturwissenschaften, Experimente, Reisen nach Italien, Farbenlehre, und weiß der Klerus, was nicht noch alles.Mirja Biel aktualisiert auch mit „Ich bin nicht Deutschland“, mit Geschlechterrollen, mit moderner hormoneller Sexualtheorie zwischen Dopamin und Testosteron und mit etwas Neoliberalismus gegen Sozialmissbrauch. Albert (Motto: „be attractive“) muss diese Thesen vertreten, als Mega-Gegenpol zum Makeup-beschmierten Grunch-Kid mit der Vorderschaftrepetierflinte. Denn der leidet und leidet und leidet. Großartig wie sich Benjamin Berger in diese Rolle gewunden hat, ebenso auch, wie Johanna Falckner, sein Wesen der Begierde, das Virus der Madonnen auf gleicher Wellenlänge verkörpert. Diese Welt zwischen dem Eisernen (Vorhang) und der Rampenkante ist klein, zu klein für sie. Lotte arrangiert sich, Werther wird zum Suicide-Commander. Aber der Weg dahin war das eigentliche Ziel der Inszenierung.

„Werther“ | R: Mirja Biel | Sa 30.1., Fr 12.2., Mi 16.3. 19.30 Uhr | Kammerspiele Bonn | 0228 77 80 08

PETER ORTMANN

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