Ein futuristischer Prolog, eine bildgewaltige Kostümorgie, ein fahles Licht am Ende. Niklas Ritter inszeniert „Das Leben des Galilei“ an den Bonner Kammerspielen. Dabei verwebt er Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf einer Bühne, spielt mit komischen Elementen und einer Orgel, die über allem schwebt. Bertolt Brechts Wissenschaftseloge, die in den 1950er Jahren eher zum Diskurs mit erhobenem Zeigefinger mutierte, ist eigentlich ein debattenfähiges Stück über die Wissenschaften der heutigen Zeit geblieben. Die Beherrschung der Natur zu einer Quelle des Glücks für die Menschheit zu machen, das war auch Brechts Ideal, doch die von ihm gesehene, immer schrecklichere Bedrohung durch große Erfindungen ist geblieben, hat Formen angenommen, über die keine Stücke mehr geschrieben werden können, weil es schlicht keine Informationen mehr über diese Gefahren gibt. Da reicht es nicht mehr aus, durch zwei Linsen im Rohr zu starren, egal ob in den Weltraum oder die Mikrowelt. Beide Sphären haben wir längst hinter uns gelassen. Heute geht es nicht mehr um Wahrheitsunterdrückung, sondern schlichtweg um deren Verschleierung aus Profitgier. Ritter hat folgerichtig zeitgenössische Versatzstücke in die Inszenierung gepackt, da gibt es Assoziationen mit Berlusconi, mit der sprachlichen Nonsenskultur der Massenmedien und auch mit dem herrlichen italienischen Lebensgefühl.
Am Anfang geistern alle als schneeweiße Homunkuli choreografisch durch Pisa. Bernd Braun als Galilei kämpft mit seinen Traktaten und mit der ständigen Geldnot. Er nimmt widerwillig Privatschüler an, um sich über Wasser zu halten. Einer bringt die Erfindung eines Fernrohres aus den Niederlanden mit, die der Mathematiker nachbaut, in Venedig vorführt und als seine Erfindung ausgibt. Das bedeutet mehr Geld, mehr Einfluss, mehr Wissen. Durch die faktische Sichtung der Jupitermonde kann das geozentrische Weltbild wegbewiesen werden. Das ruft den degenerierten Klerus der damaligen Zeit auf den Plan, die Inquisition, aber auch die europäischen Wissenschaftskollegen. Zwischendurch wütet die Pest, die Galilei in Florenz überlebt. Die Regie zeigt eine Apokalypse, bei der die Bühnenmotorik alle in ein Massengrab sinken lässt, die Zeit der Homunkuli ist vorbei, opulent geht es weiter um die Frage, ob sich Vernunft und Aufklärung gegen die Wahrheitsunterdrücker durchsetzen. Ritter wählt den amüsanten Umgang mit einem Klerus, der zwar wissend, aber nie weise war, und noch konnte das Rathaus Gottes die Veränderung aufhalten, sich weiter mit einer köstlichen Modenschau und Schampus, gereicht von kleinen Messdienern. Günter Alt als schleimiger Inquisitor in roter Robe hat dennoch die Zügel fest in der Hand.
Bernd Braun entwickelt während der Handlung hervorragend die Figur des Galilei. Ist er anfangs noch der selbstverliebte (All-)Wissende, der gern auch mal süffisant die kleineren Geister düpiert, geht er zwischen Pest und Auseinandersetzung mit dem Klerus durch alle Höhen und Tiefen seines Standes, am Ende wird er doch widerrufen, zu sehr hängt er am Leben und am Wein. Verrät dafür locker Wissenschaft und Welt, obwohl er dann doch noch eine Kopie seiner Arbeit ins Ausland schaffen kann. Eine sehenswerte Zweistunden-Inszenierung.
„Leben des Galilei“ I So 15.4., 18 Uhr I Kammerspiele Bonn I 0228 77 80 08
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