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Auf dem rechten Auge blind? Der NSU-Skandal beschäftigt Deutschland noch immer
Foto: Charly K. Kanzen

„Arsch huh! Zäng ussenander“

28. Mai 2014

Die zwei Gesichter der Kölner Stadtgesellschaft – THEMA 06/14 RECHTSDREHUNG

Als am 9. Juni 2004 die Nagelbombe in der Keupstraße explodierte und 22 Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzte, waren Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos der Öffentlichkeit noch völlig unbekannt. Erst im November 2011, nachdem beide im Anschluss an einen Raubüberfall tot in einem Wohnmobil gefunden wurden und ihre Komplizin Beate Zschäpe wenige Tage später die Wohnung des mörderischen Trios mit einer Bombe gesprengt hatte, fand die Polizei das berühmt gewordene, menschenverachtende Paulchen-Panther Video. In ihm „rühmt“ sich der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) neben einer Mordserie an türkischen und einem griechischen Mitbürger, auch der Täterschaft des Nagelbombenanschlags auf der Keupstraße.

In der Zeit nach dem Keupstraßenanschlag stocherten die Behörden im Nebel. Bemerkenswert war aber vor allem die Reaktion von Bundesinnenminister Otto Schily und seinem NRW-Amtskollegen Fritz Behrens. Bereits einen Tag nach dem Anschlag schlossen sie vor der Presse einen terroristischen Hintergrund der Tat aus. Worauf sie ihre Einschätzung gründeten, ist bis heute nicht geklärt. Immerhin, Otto Schily gesteht heute ein, dass es ein Fehler war.

Ein Fehler, der unmittelbarer dazu führte, dass sich in der veröffentlichten Meinung der „allgemeindeliktische Hintergrund“ des Anschlags als Erklärung durchsetzte; schlimmer noch: er wird zur Gewissheit. Die Version, der Terrorakt habe einen rechtsextremen und rassistischen Hintergrund, wird als Mutmaßung von betroffenen Anwohnern und Geschäftsleuten abgetan. Meinungen, dass es sich beim Anschlag nicht um Revierkämpfe zwischen „kurdischen, türkischen und albanischen Banden“ (Süddeutsche Zeitung 11.06.2004) handle, kommen nur am Rande der Berichterstattung vor.

Aus Opfern wurden in der Folge Täter – und die Medien sprangen bereitwillig auf den Zug auf. Die falschen Beschuldigungen fielen auf den fruchtbaren Boden einer zutiefst verunsicherten und sich bedroht fühlenden Mittelschicht. Anders, als mit Abstiegsängsten, die nach einer möglichst simplen Erklärung verlangen, ist der Erfolg eines – unwissenschaftlichen und schlecht geschriebenen – Buches wie „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin nicht erklärbar. Und auch hier machten die Bild-Zeitung und Spiegel bereitwillig mit und featurten und verdienten mit an dem Schmu, den Sarrazin verzapfte. Auch wenn der nicht mit Leuten wie Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in einen Topf geworfen werden darf, dienen „Argumente“ wie die seinen doch als Legitimation für Extremisten, den „Willen der schweigenden Mehrheit“ zu vollstrecken.

Trotzdem verwundert es, wie sich im sogenannten „toleranten“ und „weltoffenen“ Köln die Mär vom „allgemeindeliktischen Hintergrund“ des Anschlags in der Keupstraße ebenso widerstandslos durchsetzen konnte, wie im Rest der Republik. Seit dem ersten „Arsch huh! Zäng ussenander“-Konzert 1992, bei dem über 100.000 Bürger auf dem Chlodwigplatz den Brandsätze schleudernden Nazis und Rassisten im wiedervereinigten Deutschland die rote Karte zeigten, hat das bürgerschaftliche Engagement gegen Rechts eine gewisse Tradition. Ein Highlight war sicherlich die Sabotage des „Antiislamisierungs-Kongresses“ im September 2008. Pro-Köln hatte Vertreter diverser rechtspopulistischer bis -extremer Parteien von FPÖ bis Vlaams Belang nach Köln eingeladen um Strategien gegen die „fortschreitende Islamisierung“ zu entwickeln. Doch die Veranstaltung floppte. Erst trieben die Teilnehmer stundenlang auf einem Ausflugsschiff auf dem Rhein, weil linke Gegendemonstranten alle Anlegestellen besetzt hielten. Von den Antifas griff der Protest auf das Bürgertum über. Die anschließende Bustour musste ausfallen, weil die Busfahrer keine Nazis kutschieren wollten. Die dann herbeitelefonierten Taxifahrer weigerten sich ebenfalls, die Kongressteilnehmer zu fahren. Als die dann abends inkognito als Versammlung von Rechtsanwälten in einem Restaurant ein Kölsch zu sich nehmen wollten, wurden sie vom Wirt kurzerhand und „ohne Diskussion“ vor die Tür gesetzt, nachdem er erfahren hatte, um wen es sich bei seinen Gästen in Wirklichkeit handelte. Schon Wochen vor dem Kongress lagen in etlichen Kneipen Bierdeckel mit der Aufschrift: „Kein Kölsch für Nazis“ aus. Ein erstaunlicher Protest einer Stadtgesellschaft gegen Rechts – kann man doch nicht davon ausgehen, dass es sich bei den Bus- und Taxifahrern ausschließlich um Linke und Antifaschisten handelte. Trotz allem muss aber auch konstatiert werden: Die Rechtsextremen von Pro-Köln sitzen seit Jahren in Fraktionsstärke(!) im Kölner Rat.

Und heute? Zweieinhalb Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU soll in der Keupstraße zum zehnten Jahrestag des Anschlags groß gedacht werden. Bundespräsident Gauck hat sich zum gemeinsamen Gedenken mit den Opfern auf der Keupstraße angesagt und 75.000 Menschen werden erwartet, wenn am Pfingstmontag die Fantastischen Vier, Max Herre und Clueso neben Udo Lindenberg, Peter Maffay und BAP auf der Bühne stehen werden, um am Ende die Kölsche Anti-Rechts-Hymne „Arsch huh – Zäng ussenander“ zu singen.

Aktiv im Thema:

www.keupstrasse-ist-ueberall.de

www.mbr-koeln.de

www.arschhuh.de

www.gib-rassismus-keine-chance.org


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Bernhard Krebs

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