„Wir müssen endlich wieder miteinander reden“, erzählt Bildungsministerin Sylvia Löhrmann, während sie auf der Bühne steht. Und genau das tut das Publikum an diesem Abend, dem 19.12. im Depot 2 des Schauspiel Kölns. Die Initiatoren von Futur Zwei und adelphi haben es sich zur Aufgabe gemacht den Dialog in Deutschland wieder zu stärken.
Vor dem Hintergrund der Pariser Anschläge, dem erstarkten Rechtsterrorismus in Deutschland und dem neuen Wutbürgertum aus der Mitte unserer Gesellschaft heraus, scheint es dringend erforderlich, eine öffentliche Diskussion über Gegenwart und Zukunft zu führen. Daher der Titel der Veranstaltungsreihe: „Welches Land wollen wir sein?“. In ganz Deutschland werden Menschen dazu eingeladen sich in Theater, Clubs, Universitäten und Kulturvereinen zu versammeln, um darüber zu debattieren, wohin es mit Deutschland gehen soll. Viele der Veranstaltungen werden oder wurden live im Radio übertragen.
Die Abende starten meist mit mehreren Anfangsreden von eingeladenen Vertretern aus Politik, Bildung, Journalismus und dem öffentlichen Leben. An diesem Abend zu Gast: Bildungsministerin Sylvia Löhrmann, Chefkorrespondent des Kölner Stadt-Anzeigers Joachim Frank, der Verleger Helge Malchow, und die Vorsitzende der IG Keupstraße Meral Sahin. Moderiert wurde der Abend von dem Dramaturgen Thomas Laue und dem Journalisten Jürgen Wiebicke. Beide Moderatoren führten mit ihrer leicht lockeren Art gekonnt durch den Abend, ohne dabei den nötigen Ernst der Diskussion zu vernachlässigen.
Die erste Rednerin des Abends ist Frau Löhrmann. In ihrer Wunschvorstellung unser zukünftigen Gesellschaft spricht sie viel von der Diversität und Individualität der Gesellschaft und zitiert dabei gerne namhafte Philosophen und Politiker. So auch Theodor Adorno, dessen Vorstellung von Gesellschaft sie teilt: „Ohne Angst verschieden sein können.“ Dahinter steckt der Wunsch nach Inklusion, einer offenen Gesellschaft und der Akzeptanz dafür, dass wir alle individuell sind. „Wir werden immer verschiedener“, so Löhrmann, „und wir müssen die Werte der Französischen Revolution‚Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit‘verteidigen“. Im Zuge der Flüchtlingskrise kämen „große Chancen, und große Herausforderungen“ auf uns zu, die wir nur gelingend bewältigen können, wenn wir uns als Menschen von Angesicht zu Angesicht träfen. Dem begegnet die Bildungsminiserin aber optimistisch und zitiert eine neuere Studie nach der NRW zu den ausländerfreundlichsten Bundesländern im deutschen Vergleich gehört.
Der zweite Redner des Abends ist Joachim Frank, Chefkorrespondent des KSTA. Er widmet sein Eingangsstatement stark der Religiosität und bezieht sich auf das berühmte Cover von Charlie Hebdo, dass nach dem Anschlag auf den Verlag erschien und sich knapp 7 Mio. mal verkaufte. Das Bild des Mohammeds, der ein Schild mit den Worten „Je suis Charlie“ trägt, sei ein symbolisches Bekenntnis zur Freiheit und Demokratie. Ein Zeichen dafür, dass jedwede Terroranschläge seitens des IS auch einen Angriff auf die muslimische Wertegemeinschaft darstellen und ihr nachhaltig schaden. Über der Karikatur thront der Schriftzug: „Wir sind eins“. Und das ist es, was sich Herr Frank für Deutschlands Zukunft erhofft: „Ich wünsche mir ein Land, in dem es heißt‚wir schaffen das!‘“.Also eine Gemeinschaft, in der nicht jeder für sich alleine kämpft, sondern alle gemeinsam an einem Strang ziehen und ihren Teil dazu beitragen, dieses Land zu verbessern. Des Weiteren kritisiert der Chefkorrespondent die „Religiöse Unmusikalität“ der Menschen. Eine Wortwahl, die sich auf den Sozialwissenschaftler Max Weber bezieht. Es werde zu viel herabgewürdigt statt gewürdigt. Das Fremde werde stets gefürchtet und beschimpft, statt ihm mit Respekt zu begegnen. Ein Faktum, das dem eigentlichen Kern vieler Religion widerspräche: Fürsorge und Nächstenliebe.
Der dritte Redner des Abends ist Helge Malchow, Verleger des Buchverlags Kiepenheuer & Witsch. Er vertritt an diesen Abend den investigativen Journalisten Günter Wallraff, der aufgrund einer Kieferoperation nicht teilnehmen kann. Etwas melodramatisch spricht Malchow von der „größten Verunsicherung seit dem Zweiten Weltkrieg“ in der Gesellschaft. Nichts könne mehr heutzutage von den Staaten im Alleingang gelöst werden. Sei es Krieg, Wirtschaft, Technik oder die große Migrationswelle. Die Welt rücke näher zusammen und gegenseitige Abhängigkeiten erfordern ein weltweites, koordiniertes Vorgehen in all diesen Bereichen, um erfolgreich handeln zu können. Sicherlich eine direkte Anspielung auf die mangelnde Partizipation der europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU. Ebenfalls Sorge bereite ihm das „Erwachen des rechten Potentials.“ Es bestehe natürlich eine Gefahr seitens des islamistischen Terrors, aber parallel dazu erstarken auch neue rechtspopulistische Kräfte, deren Zustrom sehr besorgniserregend sei. Ein Problem diesbezüglich sei mitunter auch die notwendige Kritik an den Flüchtlingsströmen – Kritiker würden viel zu schnell in die fremdenfeindliche Ecke der Gesellschaft verdrängt, ohne deren Argumenten wenigstens Gehör zu schenken. Zweifelsfrei seien aber Rechtspopulisten wie Björn Höcke oder Thilo Sarrazin „die Totengräber für Freiheit und Demokratie“, so Malchow. Die Politik brauche daher eine neue Sprache, um auf die Einflüsse aus dem Rand der Gesellschaft adäquat zu reagieren. Es werde auch viel zu wenig auf die Bedürfnisse der Jugendlichen eingegangen.
Die letzte Rednerin des Abends ist die deutsch-türkische Geschäftsfrau Meral Sahin, die der Interessengemeinschaft der Keupstraße vorsitzt und das jährliche Straßenfest Birlikte mitorganisiert. Als einzige Rednerin hat diese keine Notizen mitgebracht. „Ich habe nichts in der Hand, sondern etwas auf dem Herzen“, beginnt sie passend. Als zweite Generation der türkischen Gastarbeiter hatte sie es nicht immer leicht in Köln. „Ich musste mich immer behaupten“, berichtet sie traurig und erzählt von ihrer Ausgrenzung aus der Gesellschaft. Nie hatte sie in ihrem Leben die Möglichkeit einfach sie selbst zu sein, ständig stigmatisiert als die Fremde, die Türkin, die Muslima. Viele Menschen würden sie gar nicht wirklich sehen, sondern viel mehr durch sie hinwegsehen, ohne den wahren Menschen hinter dem Kopftuch zu betrachten. „Die Angst macht unsere Gesellschaft zu dem, was sie heute ist“, erzählt die Geschäftsfrau.Sie wünsche sich daher in einer Gesellschaft zu leben, in dem sie einfach für den Menschen akzeptiert werden würde, der sie ist, Meral Sahin.
Im Anschluss an diese Statements erfolgte eine sehr fruchtbare Diskussion mit dem Publikum, an dem jeder teilnehmen konnte, der den Wunsch dazu verspürte. Kritik an den Redner gab es wenig, viel mehr wurden die Beiträge ergänzt. Es wurde darauf verwiesen, dass die Räder der Bürokratie sich zu langsam drehen, und notwendige finanzielle Mittel auf der Strecke blieben. Auch die Teilschuld unserer Gesellschaft und Politiker an den vergangenen Kriegen im Nahen Osten wurde kund getan. Auch wurde auf die Angst eingegangen, die durch die Pariser Anschläge entstanden, und von Rechtspopulisten geschürt würde. So erzählte ein junger Mann von einem Gespräch mit einer ehemaligen Lehrerin, die sich an die Zeiten des Nationalsozialismus derzeit erinnert fühle – ohne konkreten Grund – aber das Gefühl wäre präsent. Er schloss seinen Beitrag mit den Worten: „Der Terrorismus kann unserer Werte nicht zerstören, sondern uns nur dazu bringen, es selber zu tun“. Tosender Applaus seitens des vollbesetzten Saals folgte darauf.
Wer sich den vollen Beitrag selber einmal im Original anhören möchte, kann dies auf der Seite des WDR5 tun unter: Die Freiheit Verteidigen
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