Ein Abend voller Tatbestände, der den unterschiedlichen Umgang mit Illegalen in Deutschland und Frankreich herausarbeitet, ohne eine Lösung zu bieten. Für die herrschenden Umstände bleibt am Ende nur die Haltung: „Ist mir doch egal“. Los geht es mit einer visuellen Architekturschau bunter Metropolen und ihrer Menschen, vierfach gebeamt auf eine Videowand, begleitet von hippem zweisprachigen Sprechgesang, auch über die Autos in Paris, denen es dort nicht gut geht. „Jede Minute mit einem Illegalen ist besser als wählen“ heißt die Show des Performing-Duos Gintersdorfer und Klaßen, die mit ihrer bekannten deutsch-afrikanischen Truppe die Schlosserei unsicher macht. Der Titel stammt vom französischen Philosophen Alain Badiou, der die illegalen Migranten „als Bastion des Widerstands gegen den Opportunismus und neoliberalen Geist der demokratischen Wähler“ sieht, und dessen radikaler Standpunkt doch noch ein bisschen zu kurz kommt.
Ansonsten geht es weiter in bewährter Gintersdorfer/Klaßen-Qualität mit interaktiven Szenen, in denen es darum geht, wie viel der Eine vom Anderen weiß und welche Informationen gern verheimlicht werden. Ob es wirklich die Sozialversicherungsnummer sein muss, ist dabei eigentlich unbedeutend, grundsätzlich geht es um die Wichtigkeit der sogenannten Papiere, die in westlichen Zivilisationen nicht nur Wert und Position definieren, sondern allein bereits die Existenz begründen. Auf der anderen Seite stehen die vorsätzlich oder zwangsweise Papierlosen, deren Legalität verhindert wird, die in Ghettos verbannt werden, die inzwischen auch als ökonomische Konkurrenz politisch vermarktet werden.
Die Zuschauer müssen jetzt ihre eroberten Sitzplätze in der Schlosserei verlassen und sich hinter der Videowand auf Plastikstühlen für den „Moment der Wahrheit“ neu organisieren. Dort im Halbkreis werden die Identitäten nun gedehnt, die Werte des Geldes und die Qualitäten eines neuen Kommunismus gepriesen, so lange, bis alle Ängste, die zwischen Eigennutz und Überleben existieren, verbal und choreografisch abgearbeitet sind. Franck Edmond Yao alias Gadokou La Star zeigt hier mal wieder seine Körperbeherrschung, nimmt sich dafür Zuschauer als Gymnastik-Gewichte. Es folgt die Geschichte vom mystischen Finger, den man opfert, um an viel Geld zu gelangen, und die Erklärung dafür, warum die Illegalen mit menschenverachtenden Trabantenstädten wie in Evry besser zurechtkommen als Einheimische, und dass die Vertreter des ethnologischen Strukturalismus hier versagt haben.
Die Inszenierung schwankt zwischen Performance und Mitmachtheater, zwischen Amüsement und Belehrung, das ist sehr unterhaltsam, aber eben auch lösungsfrei. Da hilft auch nicht das Gleichnis der Abschieberituale, die den Besuch Europas für eine kurze Zeit ziemlich luxuriös gestalten, aber zu keinem inhaltlichen Ergebnis führen. Da hilft es auch nicht, dass Kölner Zuschauer in ihrer Heimatstadt keine Entsprechung zu den Ghettos in Paris finden. Papierlos leben ist nicht Avantgarde und auch keine gesunde Haltung. Scheißegal bleibt in Europa illegal. Leider.
„Jede Minute mit einem Illegalen ist besser als wählen“ I Mi 2.11., 19.30 Uhr I Schauspiel Köln/Schlosserei I 0221 22 12 84 00
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