Dienstag, 30. Oktober: Die „filmsociety“ hatte dieses Mal zu ihrer regelmäßigen Veranstaltung mit Diskussion mit den Filmschaffenden ins Off-Broadway-Kino geladen. Dort feierte man gemeinsam mit Debütregisseur Jan-Ole Gerster und dessen Hauptdarsteller Tom Schilling („Napola – Elite für den Führer“) die Vorabpremiere der in Schwarz-Weiß gedrehten Großstadtballade „Oh Boy“ (unserem Film des Monats). Film und Stargäste lockten zahlreiche Zuschauer in die Zülpicher Straße und bescherten der „filmsociety“ und dem Kino eine fast ausverkaufte Veranstaltung. Gut gelaunt stellten sich Gerster und Schilling den Fragen des Publikums, nachdem Margot Schmidt-Reichart die prominenten Gäste auf der Bühne des Kinos vorgestellt hatte.
Jan-Ole Gerster gab unumwunden zu, dass der Inhalt von „Oh Boy“ einer Phase aus seinem eigenen Leben abgeschaut sei. Bei der Drehbuch-Konzeption hatte der Erstlingsregisseur dann versucht, das persönlich Erlebte für ein möglichst breites Publikum nachvollziehbar aufzuarbeiten. Dafür hatte er einige der grundsätzlichen Lehren der Filmschulen von Vornherein ausgeblendet. Eigentlich ist es nämlich ein ungeschriebenes Gesetz, dass der Held der Geschichte aktiv zu sein hat, sich auf eine Suche begeben muss und am Ende eine Erkenntnis aus dem Erlebten ziehen kann. Nicht so bei Gerster, der den von Tom Schilling dargestellten Niko Fischer ganz bewusst als passive Figur anlegte, was heutzutage keinesfalls mehr üblich ist. „Ich fand es reizvoll, eine Figur durch ihre Begegnung mit anderen zu charakterisieren.“ Auf eine weitere Frage aus dem Publikum, warum der Film in Schwarz-Weiß gedreht worden sei, antwortete der Regisseur ironisch: „Wir hatten kein Geld für Farbe, das war zu teuer.“ Mit mehr Ernst kommentierte er anschließend, dass seine intuitive Entscheidung für diesen künstlerischen Ansatz bei der Finanzierungsgeschichte erstaunlicherweise keinerlei Gegenwind hervorrief.
Margot Schmidt-Reichart im Gespräch mit Tom Schilling und Jan-Ole Gerster
Gerster und sein Hauptdarsteller kennen sich mittlerweile seit mehr als zehn Jahren. Schilling merkte an, dass er wohl die zweite Person gewesen sei, die das Drehbuch zu lesen bekommen habe. Schon kurz danach war ihm klar, dass er diese Rolle unbedingt spielen wolle. „Ich verstand die Figur, habe sie geistig durchdrungen und mich selbst in der Rolle gesehen. Ich spürte, dass ich mich bei dem Film irgendwie nützlich machen kann.“ Das ist Schilling zweifelsohne gelungen, denn er unterstützte die Produktion nicht nur als Associate Producer, sondern dürfte auch mit dafür verantwortlich sein, dass „Oh Boy“ einen großen deutschen Filmverleih (X Verleih) fand. Ein Roter Faden und Running Gag des Films, der bei den Zuschauern nicht unentdeckt blieb, war Nikos ständige Suche nach einer Tasse Kaffee. Dass er diese schließlich in der letzten Szene des Films endlich bekommt, ist Gersters Zugeständnis an die metaphorische Suche seines unkonventionellen Helden: „Ein kleines Ziel braucht auch diese passive Figur, und wenn es nur eine Tasse schwarzer Kaffee ist.“
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