„Eine Grundregel der Comedy lautet: Lachen und Nachdenken schließen sich gegenseitig aus. Ebenso wenig wie ein Linienrichter gleichzeitig den Moment der Ballabgabe und eine Abseitsstellung optisch erfassen kann, kann man über eine Pointe gleichzeitig lachen und nachdenken. Ein Gag braucht also immer eine Eindeutigkeit, um zu funktionieren. Das heißt, eine Pointe muss zwangsläufig mindestens einen Teil der Wirklichkeit ausblenden, denn die Wirklichkeit hat bekanntlich mindestens zwei Seiten“. Mit diesen Worten erklärte der Kabarettist (und Bestsellerautor) Moritz Netenjakob vor einigen Jahren in der „Emma“ den rasanten Erfolg von Mario Barth – und führte weiter aus, dass es etwas tröstliches und beruhigendes habe, wenn man sich an den alten Rollenbildern erfreuen würde – und damit der allgemeinen Verunsicherung entgegenwirke.
Netenjakob selbst ist spätestens seit der Erfindung und Beschreibung des „Macho Man“ vielen Menschen ein Begriff – wobei seine Gastspiele auf Kleinkunst-Bühnen nicht mit Publikumsanstürmen bei Barth zu vergleichen sind. Aber inhaltlich und spielerisch ist er dem Kümmerling unter den Comedians haushoch überlegen. In Böblingen gibt es offenbar einen Humanhumoristen, der ihm exakt erläutert hat, welche Gag-Dichte ein Programm haben muss, damit es funktioniert: „Mit Kant-Zitaten zum Orgasmus“ heißt sein Solo, mit dem er am 14.5. in der Comedia (Roter Saal) auftritt – zwei Tage nachdem er an selber Stelle mit seiner Bühnen-Family das „Zuckerfest für Diabetiker“ gefeiert hat. Der Kölner packt seine Beobachtungen aus dem Land der Dichter und Denker in herrlich abgedrehte Spielszenen, die von seiner stupenden parodistischen Fertigkeit und jeder Menge selbstironischer Attacken leben – und dem Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.
Das gilt auch für HG. Butzko, der mit „Super Vision“ erneut einen rasanten Rundumschlag durch die mafiose Welt der Wirtschaftskriminalität wagt, wenn er u.a. deutsche Waffenlieferungen thematisiert, die in Kriegen Einsatz finden und somit Flüchtlingsströme generieren (am 6.5. in der Comedia, Grüner Saal). Der Preisträger des Mainzer Unterhauses 2014 ist der lebende Beweis dafür, dass das politische Kabarett notwendiger denn eh und je ist: die unzweifelhaft vorhandene Komik der Herrschaften in Berlin ist weder ein Ersatz noch so leicht als solche zu identifizieren – wobei man über deren Machtspielchen und dem damit einhergehenden Populismus genauso gut in Tränen ausbrechen könnte. Kurz: Hirnschrittmacher wie Butzko & Co. sind die lustigsten Aufklärer seit Erfindung der zehnten Muse.
Abrupte thematische Wechsel, schnelle Übergänge und urplötzliche stilistische Sprünge sind das Markenzeichen von Martin Zingsheim, der mit „Kopfkino“ (am 14.5. im Grünen Saal der Comedia) gastiert. Seine Gedankenströme gleichen sprudelnden Quellen: glasklar und erfrischend. Das zweite Programm des Musikkabarettisten gehört zum Ersprießlichsten und Originellsten, was die Brettl-Bühnen derzeit zu bieten haben. Er spricht und singt und spielt – mal Klavier, mal Gitarre – und er zeigt, dass Bildung auch einmal ganz anders als gewohnt daher kommen kann. Er hat Probleme mit Briefmarken, aber keine mit ganz normalen Freaks. Kurz: in seinem Kopf ist was los. Das muss man sich angehört und -gesehen haben, meint im Brustton der Überzeugung die Ihnen stets ergebene
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