Der Wolfgang-Hahn-Preis hat dem Museum Ludwig schon etliche herausragende, überraschende Ausstellungen beschert. Das liegt auch daran, dass er an Künstler verliehen wird, deren Werk sich außerhalb des Mainstreams befindet und doch drängende gesellschaftliche und künstlerische Fragen aufgreift. Besonders trifft das nun auf Huang Yong Ping zu, der sich als Künstler zwischen den verschiedenen Kulturen und ideologischen Systemen bewegt und diese Gegensätze in seinen oft monumentalen und dabei fragilen Werken zusammenführt. Diesseitigkeit trifft auf Spiritualität, Tradition auf Fortschritt, Natur auf moderne Waffentechnik. Derzeit bespielt Huang Yong Ping in seiner Wahlheimat Paris den Grand Palais – eine Ehre, die jedes Jahr nur einem internationalen Künstler zuteilwird. Zuvor aber wurde seine Präsentation im Museum Ludwig eröffnet. Sie beschränkt sich auf wenige, aber aussagekräftigen Arbeiten, darunter Leihgaben des Ludwig Forum Aachen und des Museum Ludwig. Dem Kölner Museum gehört schon lange das „Kiosk“ (1991). Für diese Installation hat der Künstler Zeitungen und Zeitschriften mit einem Betonmischer zu Papiermasse verarbeitet. Sie sind im Kiosk in Stapeln gelagert oder hängen wie Lebensmittel oder Fledermäuse von der Decke. Der Arbeitsplatz in der Tiefe weist auf das Verborgene ihrer Herstellung, als Geste des Widerstands. Während das Kiosk an einen fernöstlichen Tempel erinnert, stecken davor Zeitungen in einem „FAZ“-Ständer: Zwar besitzen sie noch ihre Form, aber nur die s/w-Fotos sind zu erkennen.
Huang Yong Ping gehört zur ersten Generation zeitgenössischer chinesischer Künstler, die vom Westen „entdeckt“ wurden. Geboren 1954 in Xiamen, ist er 1989 einer von drei Künstlern seines Landes, die von Jean-Hubert Martin zur Teilnahme an der Ausstellung „Magiciens de la terre“ in Paris eingeladen wurden: Diese Schau ist bahnbrechend für die Anerkennung nicht-westlicher Künstler im Kunstbetrieb. Im gleichen Jahr findet in Peking das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens statt. Die Ereignisse führen dazu, dass Huang Yong Ping nach Paris übersiedelt. 1997 nimmt er an den Skulpturenprojekten Münster teil, wo er einen monumentalen „Flaschentrockner“ (nach Duchamp) zeigt, von dem die Arme von Ankleidepuppen in alle Richtungen ragen – in Anspielungen auf den Christus-Torso in einer Münsteraner Kirche und vielarmige Gottesdarstellungen in Fernost: „Mein Projekt beschäftigt sich mit Wandel und Umwandlung von Gestalt und Bedeutung. Hier werden Ost und West, Kunst und Religion miteinander vermischt“, hat er dazu geschrieben. Dies ist auch künftig Programm.
Fast zu übersehen ist im Museum Ludwig „Palanquin“ (1997), das in luftiger Leichtigkeit über dem Treppenhaus gespannt ist. Die „Sänfte“ aus einigen wenigen Materialien (Bambus; Schlangenhaut) und Gegenständen (ein Tropenhelm, eine Art Thron mit einer Fußbank) handelt von Herrschenden und Sklaven, von Kolonialismus und der Inbesitznahme bei den Reisen und Feldzügen, und zwar bis heute. „Huit Cheveaux de Léonard de Vinci déchirant un porte-avions“ (2004) wiederum verkehrt die Verhältnisse. Metallische Pferde versuchen mittels Stahlseilen, einen Flugzeugträger in ihrem Zentrum zu zerreißen: Die weißen Jets stehen auf diesem in drei Reihen zum Abflug bereit. Natürlich enthält die Arbeit Anspielungen auf Foltermethoden und ebenso auf militärische Konflikte zwischen den USA und China – ein Sujet, das schon im „Bat Project“ (ab 2001) auftaucht, dessen Geschichte der (internationalen) Zensur in einer vielteiligen Papierarbeit dokumentiert ist. In der Vermittlung der Gedanken und Ideen von Huang Yong Ping ist „Memorandum: Bat Project I, II, III“ atemberaubend. Es macht Sinn, dass diese Arbeit jetzt von der Gesellschaft für moderne Kunst am Museum Ludwig angekauft wurde.
Huang Yong Ping | bis 28.8. | Museum Ludwig | 0221 22 12 61 65
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