Die mediale Aufmerksamkeit von nah und fern, die die Retrospektive von Füsun Onur im Museum Ludwig erhält, steht im Gegensatz zum Stillen und Einfachen, Unspektakulären ihrer Werke selbst, zum Alltäglichen der Bestandteile und dem Elementaren des Arrangements. Die türkische, 1938 in Istanbul geborene Künstlerin, die in ihrer Heimatstadt und am Maryland Institute in Baltimore Bildhauerei studiert hat, „beherrscht“ den Raum derart, dass sie den Betrachter zu Bewegung und Aktivität animiert. Sie besitzt ein feines Gespür für Farben und ihre atmosphärische Wirkung, für die Energie kleiner Gesten und für das erzählerische Potential in der Kombinatorik alltäglicher, meist häuslicher Materialien und Dinge. Bei allen großen Kunstereignissen – etwa der documenta oder im türkischen Pavillon der Biennale Venedig 2022 – ist sie vertreten und prägt sich dort gerade durch Zurückhaltung ein.
Nun folgt also die erste Überblicksaustellung außerhalb ihres Heimatlandes. Und die ist betörend schön, aber nicht ohne Widerhaken und subtile Verweise auf den Umgang mit Erinnerung und Geschichte zwischen biographischer und kollektiver, mitunter von politischen Systemen geprägter Erfahrung. Die Installationen folgen im Museum Ludwig luftig aufeinander und es ist, als würde man kleine Geschichten abschreiten und an ihnen teilhaben, während sich alles zu einem kontinuierlichen Klang verdichtet.
Das gilt gleich für die erste Installation, auf die man über die Treppe zu schreitet, den „Kontrapunkt mit Blumen“. Man betritt ein Zelt, das einen in seinem sanften Blau gänzlich umfängt. Künstlichkeit und Natur treffen aufeinander, man denkt an eine weite Landschaft unter blauem Himmel oder an einen Schwebezustand wie im Wasser, und doch scheint alles riskant, gefährdet. Das Zelt erinnert an den Ort der Nomaden oder an den Bosporus als Fluss, an dem Füsun Onur in Istanbul lebtund der Europa von Asien trennt. Die (willkürliche) Setzung von Zentrum und Peripherie und der Umgang mit Orient und Okzident ziehen sich leitmotivisch und assoziativ durch ihr Werk, zusammen mit dem Bewusstwerden von Prägungen und Einflüssen. Erinnerung ist nicht nur Vergangenheit, sondern mehr noch Gegenwart. Im Bild „Traum“ (1981) schaut man durch gespannte farbige Seile auf die Wand, kleine Kugeln sind eingeflochten. Hier erinnert alles an einen strömenden Fluss, der die Spuren der Zivilisation mit sich trägt. Immer wieder verwendet Füsun Onur Möbel aus ihrem Haus und vermittelt so die Sicht des Kindes. Das gilt auch für ihre Bodeninstallation im Museum Ludwig, bei der sie langeStricknadeln in verschiedenen Konstellationenangeordnet hat, noch in Beziehung zu goldenen Knäueln und ausgelegten Schnüren sowie einzelnen Porzellanfigürchen.
Ausgestellt ist schließlich auch der letztjährige Biennale-Beitrag. Auf Tischflächen ereignen sich einundzwanzig Szenen mit Katzen und Mäusen aus gebogenem Draht und Stoff- oder Papierfetzen, die sich, ausgehend von narrativer Überlieferung, verbünden, um für die zerstrittene Menschheit die Welt zu retten: Einmal mehr kann man die sanfte Theatralik und die Fabulierlust von Füsun Onur bewundern.
Füsun Onur – Retrospektive | bis 28.1. | Museum Ludwig | 0221 22 12 61 65
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