Er schickt seiner Verlobten ein detailliertes Erziehungsprogramm. Er schreibt ein Drama über einen ängstlichen preußischen Offizier und wunderte sich über die Reaktionen. Er gibt eine Zeitung heraus, gegen deren Drastik nicht mal die „Bild“-Zeitung ankommt. Heinrich von Kleist gehört zu den merkwürdigsten Edelgesteinen der deutsche Literatur. Anlässlich des 200. Todestages widmet die Regisseurin Andrea Bleikamp jetzt diesem Turbopathetiker, Körperfetischisten und Sprachunterminierer einen Solo-Abend. „Kleist 20.11“ steht ironisch-zukunftsträchtig auf dem Titel-Etikett.
Die Performance des jungen (und unverschämt begabten) Schauspielers Fabian Ringel gibt sich die Attitüde der persönlichen Annäherung. Ein Lieblingsstellenfestival. Lesestunde aus der Erzählung „Der Findling“ über einen Adoptivsohn, der am Ende von seinem Stiefvater erschlagen wird. Und weil die Mordstelle so schön ist („Brutal, eh?“), folgt ein Best-Of-Splatter bei Kleist, bei dem an spritzenden Hirnen, eiternden Wunden und selbst Kannibalismus kein Mangel ist. Fabian Ringel in Unterhose, Socken und Parka fällt dabei in konvulsivische Zuckungen, ob aus Erregung oder Ekel, bleibt dahingestellt. Dann begibt er sich ins Phantasialand der Kleistschen Emotionszustände: Er mimt den Stolz eines Offiziers, dem er Epauletten auf die Plastikuniform malt, oder die Verwirrung der Marquise von O., die ohnmächtig geschwängert wurde, oder die kalte Selbsterkenntnis Penthesileas, nachdem sie Achill zerfleischt hat. Doch worum geht es der Regisseurin eigentlich: Um Kleists revolutionäre literarische Verfahren, um die Person oder seine Aktualität – man erfährt es nicht. Kleist und sein Werk bleiben unfassbar, ganz so, wie zu Beginn Fabian Ringel hinter grauen Folienbahnen (Bühne: Klaus Stump) entlangrennt: ein Autor im Verborgenen, der in mindestens genauso viele Identitäten zerfällt, wie Plastikhussen für Hemden auf der Bühne hängen. So abwechslungsreich Eiterbeulen neben Reiseberichten und Ratgebersätzen an Kleists Verlobte sein mögen, die serialistische Reihung von Aspekten verschleiert mehr, als sie klärt. Ein Abend, der mehr Lust auf eine Wiederbegegnung mit dem Schauspieler Fabian Ringel als mit dem Autor Heinrich von Kleist macht.
„Kleist 20.11“ | R: Andrea Bleikamp | Studiobühne | 15.-18.12., 20 Uhr | 0221 470 45 13
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