Wie funktionieren Galerien im Lockdown? Ihr Status ist im Kunstgeschehen speziell. Galerien sind keine Museen oder Kunstvereine, rekrutieren aber die Künstler für diese. Als erster Ansprechpartner für die Künstler präsentieren sie oft die neuesten Werkgruppen und bringen sie überhaupt erst in die Öffentlichkeit. So wichtig es ist, Kunst zu betrachten, so sehr geht es doch nicht ohne ihren Verkauf, und dafür sind eben Galerien zuständig. Sie sind Wirtschaftsunternehmen, „Geschäfte“, die (im Gegensatz zu Museen) kostenlos besucht werden können. Sieht man die Schlangen vor manchem Museum, so erstaunt es erst recht, wie wenige Kunstliebhaber tatsächlich in Galerien kommen. Daran änderte auch nichts, dass im Lockdown light die Galerien mit ihrem privatwirtschaftlichem Hintergrund und ihren Hygienekonzepten geöffnet bleiben durften und zeitweilig die einzige Möglichkeit waren, Kunst im Original zu sehen. Nun sind auch sie geschlossen, und doch sind sie mit ihrer Beweglichkeit und ihrer Spontaneität häufig erneut den Museen einen Schritt voraus.
Viele der Galerien nutzen schon seit Jahren die sozialen Netzwerke als Kommunikationsstrategien, um ihre fernen Sammler und Künstler zu informieren und auf sich aufmerksam zu machen. Dieses Know-How kommt in Zeiten, in denen die Kunst lediglich durch Schaufenster zu sehen ist, erst recht zum Einsatz, neben der eigenen Website besonders via Facebook und Instagram.
Insbesondere Facebook ist die Sache der Galerie Grölle pass:projects in Wuppertal-Elberfeld, die mit ihrem frischen, medienübergreifenden Programm über Deutschland hinaus hoch angesehen ist. Der Name ist Konzept: die Galerie arbeitet im engen Austausch mit anderen Ausstellungshäusern weltweit und vertraut dabei einem festen Stamm an Künstler*innen, die immer wieder wie beim Ping Pong-Spiel in dialogischen Ausstellungen aufeinander treffen.
Das betrifft auch die aktuellen, online sehr gut nachzuvollziehenden Ausstellungen von Hanna Kuster und Bert Didillon, die in getrennten Räumen gezeigt werden. Hanna Kuster, die mit gerade 24 Jahren hier eine tolle Ausstellungspremiere feiert, bewegt sich bei ihren Papierarbeiten zwischen Malerei und Zeichnung. Bert Didillon, der 1965 geboren wurde und an der Düsseldorfer Kunstakademie Meisterschüler von Alfonso Hüppi war, entwickelt Reliefs und Objekte, die sich oft zwischen Raum und Fläche verhalten. Für die Werke von Kuster und Didillon scheint die digitale Vermittlung, zu sehen auf dem Monitor – also der Verzicht auf die Begegnung im Gegenüber – schwer. Dafür hat die Galerie mit dem Film jedoch ein ideales Medium und mit Michael Baudenbacher einen kongenialen Filmemacher gefunden. Zu sehen auf Facebook, nähert sich die Kamera den Werken sukzessive an, wird neugierig und hält inne, umkreist sie und tastet aus nächster Nähe über die ganz unterschiedlichen Oberflächen.
Hanna Kuster, die an der Kunstakademie Düsseldorf bei Tomma Abts studiert, zeigt kleine, in ihrer Dichte vibrierende, farbige Handzeichnungen sowie große mehrschichtige Malereien auf Papierbahnen, die mitunter wie enorm vergrößerte Details wirken. Sie arbeitet mit unterschiedlichen Malmaterialien und erzielt in der „gestrickten“ Kleinteiligkeit, die in der variierten Abfolge winziger Zeichen und Striche an Zäune oder Netze erinnern kann, eine immense Raumwirkung. Die Bilder wirken plötzlich wie gekippte Ausschnitte aus Gebäudestrukturen und Industriearealen. Also, die feine, minutiöse Intensität trifft auf widerständige Texturen, die nun aber eine enorme Sinnlichkeit entfalten.
Diese Ambivalenz verbindet Hanna Kuster mit den im Look ganz anderen Werken von Bert Didillon. Seine Werke tragen meist etwas Beiläufiges, als handle es sich gar nicht um Kunst sondern Überbleibsel unserer Zivilisation, übereinander geschichtete Plastikelemente oder aufgefaltete Kartonagen etwa, die da auf dem Boden stehen oder an der Wand hängen. Und dann tritt man (mit dem Auge der Kamera) näher, schaut genauer und sieht, dass die Plastikteile in einer austarierten Balance über einem Raster liegen oder die Kartonagen tatsächlich in mehreren Farbschichten bemalt sind. Dass die Knicke und Einrisse einbezogen und als Komposition austariert sind. Dass die Farben interagieren und überhaupt hier nichts zufällig ist und trotzdem eine spielerische Leichtigkeit vorherrscht. Nebenbei stellt Didillon mit seinem Vokabular immer wieder Bezüge zum Modernismus und insbesondere zum Suprematismus her: Er befragt deren Potential für unsere heutige Zeit. Also, wie bei Hanna Kuster, je mehr man sich drauf einlässt, desto mehr wird man fündig. - Baudendachers Film hat bereits rund 1.700 Aufrufe, und man sollte sich vorstellen, wie viele Menschen das, auch bei Mehrfachklicks, sind. Und bei der Qualität beider Ausstellungen könnten und sollten es noch mehr werden.
Hanna Kuster / Bert Didillon | bis 20. März, sofern geöffnet werden darf, an diesem Tag Finissage unter den dann geltenden Regeln und Hygienemaßnahmen | Grölle pass:projects in Wuppertal | 0173 261 11 15 | www.passprojects.com
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Menschen in Räumen
Tim Eitel in der Neuen Galerie Gladbeck – Kunst in NRW 04/21
Menschen und Farbe
Martin Parr in Düsseldorf – Kunst in NRW 09/19
Rendezvous der Bildhauer
Henry Moore im Arp Museum Rolandseck – Kunst in NRW 10/17
Hinter dem Vorhang
„Symbolismus heute“ im Clemens Sels Museum Neuss – Kunst in NRW 01/17
Vom Funktionieren einer Stadt
Die Römer in Hamm – Kunst in NRW 08/16
Blick in die Karten
„Weltkunst“ in Wuppertal – Kunst in NRW 11/15
Menschen und Orte
Frank Auerbach im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 09/15
Bilder mit Sprache
Joan Miró in Düsseldorf – Kunst in NRW 08/15
Übersehene Meisterwerke
Eine erste, beeindruckende Bestandsaufnahme der Kunst der Verfolgten – Kunst in NRW 05/15
Raum auf Abstand
Kunsthalle Münster: Erst Mike Nelson, dann Oliver Breitenstein und Tassilo Sturm – Kunst in NRW 02/15
Angewandt und frei
Das textile Wandbild im Museum für Kunst und Kulturgeschichte in Dortmund – Kunst in NRW 02/15
Richter daheim
Gerhard Richter im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 11/24
Menschen allein
Lars Eidingers Ausstellung „O Mensch“ in Düsseldorf – Kunst in NRW 10/24
Noch gemalt
„Zwischen Pixel und Pigment“ in Herford und Bielefeld – Kunst in NRW 09/24
Farbe als Ereignis
Katharina Grosse im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 07/24
Farbe an Farbe
Otto Freundlich und Martin Noël in Bergisch Gladbach – Kunst in NRW 06/24
Am Anfang der Abstraktion
Hilma af Klint und Wassily Kandinsky in Düsseldorf – Kunst in NRW 05/24
Glaube und Wissenschaft
Louisa Clement im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 04/24
Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24
Ritt durch die Jahrhunderte
Die Neupräsentation im Kunstpalast in Düsseldorf – Kunst in NRW 02/24
Ende eines Jahrhunderts
George Minne und Léon Spilliaert in Neuss – Kunst in NRW 01/24
Puls des Lebens
Chaïm Soutine im K20 in Düsseldorf – Kunst in NRW 12/23
Ganz leicht
Christiane Löhr im Bahnhof Rolandseck – Kunst in NRW 11/23
Die stille Anwesenheit der Dinge
Cornelius Völker im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 10/23