Farbe und Pinsel gab es nicht, also kratzte Jan Markiel den Putz von den Wänden, um das Porträt der Bäckerstochter zu malen. In einem rosafarbenen Kleid brachte Krystyna Madej das Brot ins Lager. Der Vater bewirtschaftete eine Bäckerei in der Nähe von Auschwitz, die Familie half den Häftlingen, wo sie konnte. Aus ihren Baracken beobachteten die Häftlinge das Mädchen mit den unglaublich blauen Augen. Die mussten einfach gemalt werden und Markiel gelang es auch, dieses überirdische Blau in ihr Porträt zu zaubern. Das Bild ist erhalten geblieben, wie so manches andere Kunstwerk der Häftlinge, während ihre Schöpfer die Befreiung des Lagers mitunter nicht mehr erlebten.
Ein Bild zu malen, konnte einen in Auschwitz das Leben kosten. Gleichzeitig existierte aber ein Lagermuseum, das vom Kommandanten Rudolf Höß geduldet wurde. Kunstwerke dienten als Tauschware und Bestechungsmittel innerhalb des Belohnungssystems im Lager. Bilder wurden versteckt und von den Häftlingen aufbewahrt für später, denn der Plan für ein Museum, in dem Zeugnisse der Todesfabrik ausgestellt werden sollten, existierte schon vor der Befreiung. „Der Tod hat nicht das letzte Wort“, so lautet der Titel der faszinierenden Bestandsaufnahme jener Kunst, die während der Verfolgung in den 30er und 40er Jahren in Deutschland, in Europa und in den Lagern entstand. Jürgen Kaumkötter stellt die „Kunst in der Katastrophe 1933 – 1945“ in seinem bei Galiani erschienen Werk vor. Denn im Grunde ist nur Felix Nussbaum mit seinen wenigen Werken, die gerettet werden konnten, zu einer anerkannten Größe innerhalb der Kunstgeschichte worden.
Über 15 Jahre hinweg hat der Kunsthistoriker Jürgen Kaumkötter an diesem Projekt gearbeitet. Etliches an Energie mag er aus dem Umstand geschöpft haben, dass die Kunst der verfolgten Künstler nie entsprechend gewürdigt wurde. Zunächst nahm man sie nicht wahr, später wurde sie dann als unschätzbares Zeugnis der Vernichtung menschlichen Lebens erklärt und damit zum Gegenstand historischer Forschung abgedrängt. So vermochte im Grunde niemand die Brillanz dieser Arbeiten zu preisen, die allzu schnell in den argumentativen Schubladen der Vergangenheitsbewältigung verschwanden.
Jürgen Kaumkötter rekonstruiert die Biographien von Künstlern wie Peter Kien, Mieczyslaw Koscielniak, Yehuda Bacon, Josef Capek, dem Bruder von Karl Capek, Jerzy Adam Brandhuber oder Waldemar Nowakowski. Letzterer zeichnete den Fluchtversuch des Liebespaars Edward Galinski und Mala Zimetbaum mit traurigem Humor nach. Als die Flucht scheiterte, schlug Mala Zimetbaum einem SS-Mann bei der Verkündung ihres Todesurteils ins Gesicht, möglicherweise wurde sie lebendig verbrannt. Kaumkötter geht seinem Thema über das Kriegsende bis in unsere Tage nach. So dass er auch Arbeiten von George Segal, der Konzeptkünstlerin Sigalit Landau oder dem Comic-Zeichner Michel Kichka miteinbezieht. Denn im Hintergrund stellt sich immer die Frage, wie Künstler mit dem Holocaust umgehen, ob sie ihrem Thema gewachsen sind und welche neuen Perspektiven ihre Arbeiten eröffnen. Gewaltdarstellungen wirken hier mitunter eindringlicher als ein Foto. Die Kunst des Porträts erlebt eine Blüte, das feine Beobachten vollzieht sich mit solcher Intensität, dass man den Eindruck gewinnen könnte, als würde die Zeit für einen Moment stillstehen.
Es geht hier nicht alleine darum, den Werken Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sondern auch darum, ihre Qualität für uns zu gewinnen. Es ist wichtig, dass diese Arbeiten in den Kanon der Moderne aufgenommen werden, dass sie unserem Bewusstsein zur Verfügung stehen, es gibt nichts, was sie ersetzen könnte.
Jürgen Kaumkötter: Der Tod hat nicht das letzte Wort. Kunst in der Katastrophe 1933-1945". Galiani Berlin, 325 S., zahlr. Abb., 39,99 €
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