Drei Räume, jeder für sich. Jetzt endlich ist die Ausstellung des Fotokünstlers Stefan Hunstein (geb. 1957 in Kassel) im Kunstmuseum Bochum zu sehen. Sie zeigt drei neue Werkgruppen, die sich mit dem Wahrheitsgehalt der Fotografie und ihrem Potential der psychischen Überwältigung und damit mit der Identifikation und des Rückspiels an den Betrachter befassen. Hunstein misstraut seinem Medium und seiner Behauptung des Dokumentarischen und Authentischen. Er fühlt ihm mittels eigener und fremder Fotografien und Fotomontagen auf den Zahn und befragt die Utopien der Vergangenheit für die Gegenwart. Er arbeitet, von Werkgruppe zu Werkgruppe verschieden, mit spielerischer Irritation und mit den Effekten des Atmosphärischen. Der Betrachter wird zum Teilhaber, der in der Bewegung oder im lauten Lesen sogar die Bilder erst komplettiert. Dort wo es in Bochum am einfachsten scheint, bei den Ansichten eines Meeresspiegels, ist es vielleicht am komplexesten, weil Hunstein mit der fast konstruktiven, sachlichen Qualität von bewegten Wasserflächen arbeitet und doch die tiefste Emotionalität aufruft. Die größte Abstraktion geht hier mit der ausgearbeiteten Konkretion einher.
Wirklichkeit freilegen
Die beiden anderen Werkgruppen zeigen Hunstein als Bilder-Verzauberer, der die bildnerischen Topoi der deutschen Aufschwung-Jahre nach dem Krieg in Form lichtdurchfluteter tieferer Ebenen und die Impressionen der Märchenwelt mit einer verwaisten literarischen Textzeile für die urbane Gegenwart abgleicht. Einfach so dran vorbeilaufen, funktioniert bei diesen drei Werkgruppen jedenfalls nicht. Schwierig mag das überdeutlich Konstruierte dieser Bilder sein. Aber ein Vergnügen ist doch die Eigenständigkeit, das Bohrende der Bildaussagen, die rigorose Behauptung der bildnerischen Setzungen und, vor Ort, die atmosphärische Verdichtung.
Jeder Raum besitzt sein eigenes Klima, geschaffen mit den subtilen Mitteln des Formats, der Abfolge, der Farbverteilung sowie dem dramaturgischen Ablauf. Von Haus aus ist Stefan Hunstein übrigens ausgebildeter Schauspieler, der viel an den Theatern in München gearbeitet hat und aktuell Ensemblemitglied am Schauspielhaus Bochum ist. Vielleicht lässt sich hier ganz allgemein darauf hinweisen, dass geglücktes Theater grundsätzlich der Welt einen Spiegel vorhält, die Realität verwandelt, mit Versatzstücken und mit dem Verhältnis von Bild und Wort arbeitet und die Wirklichkeit hinter der – scheinbaren – Wirklichkeit freilegt: Das alles kennzeichnet nun auch diese inspirierende Ausstellung.
Stefan Hunstein. Abbild und Wirklichkeit – Neue Fotoarbeiten | bis 23.5. | Kunstmuseum Bochum | nach Voranmeldung: Di-So 10-17 Uhr | 0234 910 42 30 | www.kunstmuseumbochum.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Menschen in Räumen
Tim Eitel in der Neuen Galerie Gladbeck – Kunst in NRW 04/21
Aus der Distanz ganz nah
Bert Didillon und Hanna Kuster bei den Grölle pass:projects in Wuppertal – Kunst in NRW 03/21
Menschen und Farbe
Martin Parr in Düsseldorf – Kunst in NRW 09/19
Rendezvous der Bildhauer
Henry Moore im Arp Museum Rolandseck – Kunst in NRW 10/17
Hinter dem Vorhang
„Symbolismus heute“ im Clemens Sels Museum Neuss – Kunst in NRW 01/17
Vom Funktionieren einer Stadt
Die Römer in Hamm – Kunst in NRW 08/16
Blick in die Karten
„Weltkunst“ in Wuppertal – Kunst in NRW 11/15
Menschen und Orte
Frank Auerbach im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 09/15
Bilder mit Sprache
Joan Miró in Düsseldorf – Kunst in NRW 08/15
Übersehene Meisterwerke
Eine erste, beeindruckende Bestandsaufnahme der Kunst der Verfolgten – Kunst in NRW 05/15
Raum auf Abstand
Kunsthalle Münster: Erst Mike Nelson, dann Oliver Breitenstein und Tassilo Sturm – Kunst in NRW 02/15
Angewandt und frei
Das textile Wandbild im Museum für Kunst und Kulturgeschichte in Dortmund – Kunst in NRW 02/15
Richter daheim
Gerhard Richter im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 11/24
Menschen allein
Lars Eidingers Ausstellung „O Mensch“ in Düsseldorf – Kunst in NRW 10/24
Noch gemalt
„Zwischen Pixel und Pigment“ in Herford und Bielefeld – Kunst in NRW 09/24
Farbe als Ereignis
Katharina Grosse im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 07/24
Farbe an Farbe
Otto Freundlich und Martin Noël in Bergisch Gladbach – Kunst in NRW 06/24
Am Anfang der Abstraktion
Hilma af Klint und Wassily Kandinsky in Düsseldorf – Kunst in NRW 05/24
Glaube und Wissenschaft
Louisa Clement im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 04/24
Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24
Ritt durch die Jahrhunderte
Die Neupräsentation im Kunstpalast in Düsseldorf – Kunst in NRW 02/24
Ende eines Jahrhunderts
George Minne und Léon Spilliaert in Neuss – Kunst in NRW 01/24
Puls des Lebens
Chaïm Soutine im K20 in Düsseldorf – Kunst in NRW 12/23
Ganz leicht
Christiane Löhr im Bahnhof Rolandseck – Kunst in NRW 11/23
Die stille Anwesenheit der Dinge
Cornelius Völker im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 10/23