Unter den Malern der sogenannten „London School“ war hierzulande zunächst nur Francis Bacon populär, ehe Lucian Freud mit seinen hyperrealistischen Menschendarstellungen nachzog. Dass aber im Londoner Klima der Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg weitere Künstler die figürliche Malerei sozusagen neu erfunden haben, hat vor kurzem das Landesmuseum Münster in seiner Ausstellung „Das nackte Leben“ belegt. Einer der herausragenden Künstler dort war Frank Auerbach. Der heute 83-jährige Maler hat vor allem Straßenansichten und Porträts geschaffen, in denen er über Jahrzehnte die gleichen lokalen Stellen und Menschen festhält. In Bezug auf seine Malerei ist das konsequent. Auerbach fixiert Wahrnehmung, die bereits in der Wandlung begriffen ist, deren malerische Erfassung folglich etwas (vermeintlich) Schnelles hat, aber das Wesen seiner Sujets genau einfängt. Auerbachs Kunst ist die Bannung und Transzendierung mit den Möglichkeiten der Farben als pastose Materie mit breitem langgezogenem Pinselstrich.
Das Kunstmuseum Bonn zeigt nun, in einer weitgehend von Auerbach selbst zusammengestellten Auswahl, Gemälde, Zeichnungen und Radierungen von den 1950er Jahren bis heute. Der erste Befund: In der Balance von Gegenstand und Abstraktion bleibt sich Auerbach über die Jahrzehnte weitgehend treu. Noch immer ist der Pinselstrich bedeutungstragendes Gerüst für alles weitere. In den Anfangsjahren hat Auerbach dunkle massige Bilder aufgebaut, bei denen der Gegenstand wie bei einem Relief in die Farbmaterie eingelagert ist. Die Plastizität ist im Laufe der Zeit mehr und mehr zurückgegangen, heute mutet jede Formulierung ökonomisch an – mit der Gefahr, den einen berühmten Strich zu viel zu setzen. Und doch gehören seine Porträts gewiss zu den radikalsten mit dem Medium Malerei. Sensationell aber sind die Straßenszenen in Camden Town, wo Auerbach seit Jahrzehnten sein Atelier hat. Silhouetten und Schornsteine scheinen sich wie Ruinen an Kriegsschauplätzen aufzutürmen, sind ruppig abweisend und doch verbreiten diese Ortsbeschreibungen eine milde Atmosphäre. Auerbach gelingt es, die brodelnde Unruhe der Großstadt unter verschiedenen Lichtverhältnissen zu vermitteln und dabei ihre Strukturen in eine innere Ordnung zu bringen.
Es ist lange her, dass hierzulande eine derart umfassende Ausstellung von Frank Auerbach zu sehen war. Innerhalb des Programms des Kunstmuseum Bonn setzt sie die Reihe großer Überblicksschauen zu einzelgängerischen Positionen der Gegenwartsmalerei fort: etwa mit Luis Gordillo, Raoul de Keyser und Mary Heilman. Es heißt ja, die Retrospektive sei der Tod des Malgenies. Aber die Werkgenese bietet auch die Chance, Absichten und verborgene Qualitäten zu erkennen. Bei Frank Auerbach gibt es davon eine Menge.
Frank Auerbach | bis 13.9. | Kunstmuseum Bonn | 0228 77 62 60
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