Vögel sterben anders. Ihnen ist der Sturz zu eigen, der im Tod wirre Flugbahnen mit verdrehten Hälsen, aufgerissenen Schnäbeln und Krallen als Gleichnis eines aufbäumenden Lebens beschreibt. Das Sterben der Tiere verfasst Gedichte, die die Menschen besser verstehen könnten als ihr eigenes Vergehen. „Ich wagte erst dich zu berühren, als ich wusste, dass du tot bist“ (im Original: „I only dared to touch you once I knew that you were dead“ ) buchstabiert ein kobaltblaues episches Poem der irischen Künstlerin Claire Morgan, in dem Raben, Elstern, Möwen, Sittiche, Fliegen, Füchse, eine Frau, deren Schatten sowie die Angst Protagonist:innen sind. „ich bete / aber mein Körper wird mich betrügen (…) Angst kann einen Körper erstarren lassen / Angst kann einen Körper undicht machen“, konstatiert die Autorin, Malerin und Skulpteurin die Ausweglosigkeiten einer gnadenlosen Psyche.
In einer stillen Symphonie der Formen, Farben und Leerzeilen sind die Schreie der Kreaturen verhallt, doch das Entsetzen hat sich als Botschafter in die Kadaver tätowiert. Nur der Mensch bleibt scheinbar teilnahmslos, müde, gelegentlich verwundert über die Leichen, mit denen er apathische Tänze aufführt. Neben lebensgroßen Wachsobjekten, präparierten Flugtieren sowie Säugern zeigt die Kunststätte auf mehreren Ebenen eindringliche Pastel- und Kohlemalereien auf Birkenholz, filigran-kryptische Wasserfarbenzeichnungen sowie archaisch anmutende Steinarbeiten und zeitgenössische Mischtechniken.
Die Überpräsenz des körperlichen Verfalls als permanente Existenzbedrohung in den rund 30 neuen Werken der Künstlerin führt zwangsläufig zum Perspektivwechsel. Schon bald öffnet sich dem Betrachter die Pforte zum inneren Niedergang, der – anders als der organische Prozess – erst mit zunehmender Reflexion Fahrt aufnimmt. Entgegen der krankhaften Atmosphäre wirkt die Ausstellung heilsam nach. Als gleichsam bewunderte wie verhasste wilde Geschöpfe erinnern die Insekten, Vögel oder Säugetiere an den menschlichen Trieb des Jagens, Erschlagens, Erlegens, Zähmens, an den Trieb, der Welt seinen Willen aufzuzwingen. Doch mit jedem Akt des Hetzens, Tötens, Brechens schärft sich die Klinge im Kerker des selbsternannten Richters, bis sie lustvoll blitzend auf dessen Schicksal niederfährt. Aber Menschen sterben anders. Sie verglühen allwissend, überernährt an Selbstherrlichkeit, Angst und eitler Hoffnung. Die Ausstellung „I only dared to touch you once I knew that you were dead“ wagt auf hellem Terrain eine erstaunlich ästhetische Vereinigung von Furcht, Zuneigung, Respekt und Mut. Ein Denkmal für das Anderssein – ein Anstoß für das Anderswerden.
Claire Morgan: I only dared to touch you once I knew that you were dead | bis 28.10. | Galerie Karsten Greve | www.galerie-karsten-greve.com
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