Was für eine anregende Ausstellung im zweiten Obergeschoss der Villa Zanders! Im Zentrum steht man vor einer filigranen Szenerie aus brüchigen modellhaften Elementen, schaut auf diese und denkt sofort an Schiffwracks auf einem Friedhof der Technik: mit den Masten auf die Seite gekippt, sodass man in ihr kompliziertes Inneres sehen kann, welches in seinen Verzweigungen noch an industrielle Schaltpläne erinnert. In einem anderen Raum liegen organische Glieder schlaff auf unsichtbaren Fäden und auf dem Boden. Dann wieder hängt ein dichtes Kontinuum aus Papierstreifen von der Decke herab, überzogen von Druckschrift, die sich zu rieselnden Texten – wie Laufbänder – zusammenfügt. Die Kunst von Jenny Michel ist, in verhaltener Farbigkeit, flirrend und lebhaft expressiv, ausdrucksstark und still. Sie ist in viele Teile aufgesplittert, die auf den Millimeter genau „sitzen“ und in ihrer Abfolge geordnet sind. Alles, was so verletzlich aussieht, an Ruinen und Trümmer erinnert, hält sich doch in skulpturaler Balance und widersetzt sich Wind und Wetter in produktiver Unruhe. Es scheint mit der Patina aus Weiß-, Braun- und Schwarztönen aus früheren Zeiten zu stammen, zugleich enthält es Hinweise auf Technik, Industrie und die Digitalisierung.
Die Ausstellung von Jenny Michel, die 1975 in Worms geboren wurde, in Kassel und Wien Kunst studiert hat und in Berlin lebt, zeigt das weite Spektrum ihrer künstlerischen Medien aus Papier, Karton und Holz über den Zeitraum eines Jahrzehnts. Sie umfasst die Skulpturen auf dem Boden, die miteinander in Beziehung treten und sich zu Installationen zusammenschließen; die Wandstücke, die als transparente Wolken wie Spinnennetze oder Nebel in den Raum hinein wuchern; die Collagen, Frottagen, Zeichnungen, Druckgraphiken auf der Grundlage von Fotografien als Techniken, die sie teils kombiniert und die ihrem Prinzip der „Dekonstruktion und Synthese“ folgen, wie sie in einem Interview gesagt hat. Damit reagiert sie auf den Zustand unserer gegenwärtigen Zivilisation, die sich immer schneller bewegt. Zu ihren Themen gehören die Reizüberflutung, die Informationsflut, bei der das Buch und die Bibliothek als Speicher fundierten Wissens auf der Strecke bleiben, der Wandel der Medien vom Analogen hin zum Digitalen und der polyvalente Umgang mit Geschichte und mit Erinnerung, der Verlust des Taktilen angesichts von Benutzeroberflächen und die Überlagerung von Bewusstsein und Unterbewusstem. Es ist konsequent, dass sie mit der Collage und der Montage, aber auch der Frottage arbeitet in filigraner Aneignung und fast zauberhafter Verwandlung, die auch Zustände der Auflösung und des Zusammenbruchs beinhaltet. So dynamisch und komplex im Über- und Nebeneinander von Schichten und Partikeln die einzelnen Werke anmuten, so viel Dystopie im Fragmentarischen und Dunklen, fast Farblosen aufscheinen mag, so klar und besonnen präsentiert sich die Ausstellung. Die verschiedenen Werkgruppen halten über präzise Blickachsen und der Aktivierung der Raumecken in der Villa Zanders das Gleichgewicht: als ästhetisches Erlebnis und tiefgehender kritischer Diskurs zu unserer Zeit.
Jenny Michel: Soft Ruins | bis 10.11. | Kunstmuseum Villa Zanders in Bergisch Gladbach | 02202 14 23 34
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