Wie einfach doch und wie grandios! Wir assoziieren Häupter, Masken, Tierwesen, seltsame und nicht seltsame Gewächse, Starenkästen, Kisten, Stühle und Tische, Modellarchitekturen. Die Villa Zanders zeigt einen Überblick über das so vielgestaltige und hochkonzentrierte skulpturale Werk von Inge Schmidt überwiegend seit den 2000er Jahren, noch mit den Zeichnungen und Künstlerbüchern, die gleichberechtigt entstehen. Die Skulpturen befinden sich auf Arbeitstischen oder als fließende Felder uns zu Füßen, sie sind verteilt an der Wand, mitunter auf windschiefen Konsolen, und auf verschiedenen Raumhöhen parataktisch in Beziehung gesetzt.
Viel zu selten wird die Kunst der Kölner Künstlerin derart umfassend gezeigt. Bei der Überlegung, warum das so ist, ist man mitten im Thema: Klar, die Skulpturen vermeiden mit ihrer Kleinheit jedes Auffallen. Und sie bestehen aus einfachsten Materialien des Bauens und des Haushalts. Oft handelt es sich um vernutzte Teile, um Reste, die im Sperrmüll gelandet sind, deren Wertlosigkeit im Bruchstückhaften unterstrichen ist. Die Latten, Stäbe, verzogenen Flächen, Walzen bestehen aus Holz, Wellpappe, Karton, zusammengehalten durch Verschnürungen, Klammern und Nägel. Nur die Kunststoffteile sind bunt, ansonsten dominiert der Materialton oder eine erdige Farbigkeit, die das Elementare unterstreicht, dem so viel Energie innewohnt. Die künstlerische Handlung aber hält sich diskret im Hintergrund, und erst allmählich wird deutlich, wie sorgsam Inge Schmidt die Teile beobachtet, zueinander gesetzt und verschiedene Lösungen durchgespielt hat, ehe sie eine Form gefunden hat, die nur so und nicht anders sein kann. Sie untersucht in ihren Konstellationen physikalische Grundbedingungen und demonstriert ein sich Halten, Entfalten, ein sich aneinander Aufrichten in der Balance oder aber schiere (An-)Spannung. Dabei geht es um Millimeter, etwa wenn sich eine plane Fläche unter dem (denkbar geringsten) Gewicht an einer Ecke knapp anhebt und den Blick in das Innere eines Kästchens ermöglicht oder indem eine Schnur aus einer Verknotung ragt. Und als versierte Bildhauerin, die an der Frankfurter Städelschule bei Michael Croissant studiert hat, denkt sie die Verfasstheit des menschlichen Körpers mit und hat die Meisterwerke der Skulpturengeschichte vor Augen. Etwas Demütiges klingt in ihren Werken ebenso an wie Stolz und Selbstbehauptung. Und doch nimmt sich alles ganz leicht, sogar spielerisch aus.
Übrigens sind die Titel superwichtig. Sie kehren das poetische Potential und mögliche Handlungen, Erzählungen nach außen, also: „Kartönchen, halb verdeckt“, „Huckepack“, „ausgebüxtes Lila“. Und dann wird, zugleich mit der Erkenntnis des Robusten und Widerständigen dieser Skulpturen, das Wesenhafte und ganz Eigenwillige ihres Daseins offensichtlich, das feine Analogien zu unserem urbanen Leben, der Einrichtung und der Kommunikation im Alltäglichen bereit hält. Es legt verschüttete Ereignisse und Abenteuer der Dinge und Situationen im städtischen Raum frei, an denen wir eben noch achtlos vorbei geeilt sind und die doch so viel mitteilen. In den kleinen Beobachtungen sindsiezuhause.
Inge Schmidt – an der Wand und vor und neben | bis 24.7. | Kunstmuseum Villa Zanders in Bergisch Gladbach | 02202 14 23 34
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