Natürlich kann man es sich leicht machen, wenn man allein zu Hause ist. Türen alle zu, Rolladen runter und im menschenleeren Raum hinstellen, bis der Kunstgenuss einen erreicht. Bei einigen Arbeiten von Gregor Schneider funktioniert das praktisch auch so, wenn auch die Erinnerungen und Gedanken, die er damit formuliert, natürlich gänzlich andere sind und Räume eben nicht gleich Räume sind. Aber – würden Sie gern ihren Raum zuhause mal abbauen und ihn sagen wir 5.000 Kilometer weiter wieder aufbauen? Genau das ist aber die Arbeit hinter der Kunst des neuen Düsseldorfer Akademie-Professors für Bildhauerei.
Gleich beim Eintritt wird das Prinzip klar. Da stehen puppenartige Skulpturen aus Stroh und Lehm, Matsch, drei Videos mit Szenen einer fremden Landschaft füllen den Rest des Raumes. Vor fünf Jahren hat Schneider beim Durga Puja Festival in Kalkutta einen Göttinnen-Tempel mit aufgebaut und dort ein Stück Straße aus seiner Heimatstadt Mönchengladbach-Rheyd nachgebaut. Final wurde alles im Ganges versenkt, doch der Künstler hat seine Teile („Kolkata Göttinnen“, 2011) natürlich wieder herausgeholt und zurück nach Rheydt transportiert – und jetzt in der Bonner Bundeskunsthalle wieder aufgebaut. Logistik ist eben alles.
Wenn man das Prinzip verstanden hat scheint der Rest des Weges durch die 22 Räume nur noch Formsache: Also Tür auf, rein und im absoluten Dunkel stehen. Größe und Funktion unbekannt, da steht etwas in der Mitte, dahinten hört man Anweisung eines Bühneninspizienten, ein helles Kellerfenster zeigt Besucher im Raum nebenan, wie sie dahin gekommen sind, keine Ahnung. Das Labyrinth hat keine Markierungen, nur Türen, immer wieder Türen, und manche sind dazu nur für Notfälle. Die Frau, die sich eine Taschenlampe mitgebracht hat, sollte aufgeklärt werden. Das kann im „Haus u r“ (Goldener Bär in Venedig 2001) nämlich nicht geduldet werden und ist auch irgendwie total dämlich für alle. Weiter geht es. Tür auf, Tür zu. Kenner kennen das Spiel. Nie kann man wissen, was dahinter ist, selbst eine totale Kopie des gerade Gesehenen ist möglich. Oder absolute Leere. Oder doch nicht. Das ist doch eine Garage, mit lackiertem Betonboden, einem Garagentor vor der Wand, der Titel „Doppelgarage“. In einer solchen hat früher ein Alkoholiker gesessen, den ganzen Tag im Auto mit einem Kasten Bier. Schneider fand das wichtig und hat den Raum mit Lichtschalter nachgebaut. Denn durch einen solchen Raum schafft er in seinem Haus ur auch eine Verbindung zur Außenwelt, die er nur mit Hilfe von Doppelgängern, die seinen Platz dort einnehmen, erreichen kann.
Mühsam wird die Kunst, die Knie zerschunden, der Rücken schmerzt. Das Durchkriechen des tiefen Tunnels wird mit der „Liebeslaube“ (2001) entlohnt. Alles weiß. Bett, Badewanne, Schrank – stoßen sie sich nicht am Siphon unterm Waschbecken! Nicht alle Räume sind aus den vergangenen drei Jahrzehnten bekannt, manche haben deutsche Museen nie gesehen, doch selbst die bekannten Dinge wie den Isolationsraum (K20/21 Düsseldorf) oder die Videos „Essen“ und „Schlafen“ in der Odenkirchener Str. 202 (Full-HD, 2014) vor der totalen Entkernung des Geburtshauses Joseph Goebbels haben wieder neue Kontexte.
„Gregor Schneider – Wand vor Wand“ | bis 19.2. | Bundeskunsthalle Bonn | 0228 917 12 00
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