Die Pest hat derzeit Konjunktur. Als historisch-literarische Metapher für die Corona-Krise ist sie in die Theater eingezogen: In Gestalt von Albert Camus‘ Roman „Die Pest“, Boccaccios „II Decamerone“ und jetzt im Theater am Bauturm in Antonin Artauds programmatischem Text „Das Theater und sein Double“. Artaud wünscht dem Theater darin den Wirkungsgrad der Pest, es soll das Unbewusste aufstören und die menschliche Grausamkeit hervorkitzeln. Und dafür nicht nur Hirn und Lunge befallen, sondern sich auch epidemisch ausbreiten.
Doch der Schauspieler Bernhard Dechant liegt erstmal einsam hinter einer bühnenbreiten Plexiglaswand in einem Kämmerchen mit Bett, Schreibtisch und Stuhl, Spitzweg und Freelancer – bis endlich Regisseur Kieran Joel simst und damit Erlösung naht. Doch das eingeblendete Gesimse hat eher etwas von Hinhaltetaktik, Verfehlung und Demütigung. Dechant verbeißt sich in den Text und steigert sich allmählich in Artauds mystische Beschwörung hinein. Er schleudert die Sätze heraus, spuckt und malt mit Blut Schriftzeichen an die Scheibe – eine Form der sukzessiven Verausgabung, die einer Anverwandlung von Artauds eigenem Schauspielstil gleicht.
Paradox daran ist nicht nur die eschatologische Schlagseite des Textes, die den Schauspieler erst aufweckt, was die anfangs zu sehenden Videobilder von Demonstrationen, Meeresverschmutzung oder Klimakatastrophe nicht geschafft hatten. Und: Artauds Sehnsucht nach pestähnlicher Unmittelbarkeit des Theaters stößt sich ausgerechnet an den biopolitischen Fallstricken der aktuellen Pandemie. Covid-19 treibt die von Max Weber konstatierte Rationalisierung der modernen kapitalistischen Gesellschaft noch ein Stück weiter. Abstandsregeln, Hygiene und Namenserfassung sind genau das, wogegen Artaud so wütend opponiert. Seiner Hoffnung auf Kollektive, die im theatralen Ritus vereint sind, sitzen im Zuschauerraum lauter Vereinzelte gegenüber. Bernhard Dechants Reenactment von Artaud nimmt predigerhafte Züge am Rande des Lächerlichen an, doch es bleibt eine leere Pose, die schließlich in sich zusammenfällt. Ein gelungenes kleines Theater-Experiment, dessen Reiz in seinen unauflösbaren Widersprüchen liegt. Der Artaud-Abend ist als Work-in-Progress gedacht: Wir sind gespannt auf den zweiten Teil…
„Das Theater und sein Double. Ein Ausbruch“ | R: Kieran Joel | 2. - 4.7. 20 Uhr | Theater im Bauturm | 0221 52 42 42 | www.theaterimbauturm.de
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