Ein Zahlenspiel als letztes Ordnungsprinzip einer chaotischen Welt. In 3 mal 31 Szenen – macht also 93 – führt Lars Norén den Zuschauer in einen „Großstadtreigen“, wie es im Untertitel heißt. Die Szenen sind kurze Versatzstücke, Ausschnitte aus verschiedenen Lebenswelten. Die Figuren stehen etwa nebeneinander am Bahnsteig, wissen nicht so wie die Zuschauer, wie es um die anderen bestellt ist, kommentieren sich aus der Distanz, bleiben sich fremd. Trotz der zumeist sehr kurz und fragmentarisch gehaltenen Szenen in schneller Abfolge ergibt sich bald ein Bild der Lebensverhältnisse des großen Figurenpersonals.
Sostmann inszeniert den Abend wie gewohnt mit einer Mischung aus Puppenspiel und klassischem Schauspiel. Im Vordergrund der Bühne von Christian Beck steht ein breiter mit weißem Tuch bedeckter Laufsteg, auf dem die Figuren auftreten. Im Hintergrund, im Schatten immer sichtbar die aufgestellten Puppen und die wartenden Schauspieler. Die anderen Lebenswelten und Figuren werden so im Bewusstsein gehalten. Die zurückhaltende Elektromusik von Nis Søgaard zwischen den Szenen unterstützt die gleichförmig melancholische Stimmung des Abends. Trotz auch lauterer und komischer Szenen ist alles dunkel grundiert. Etwa die Geschichte des Mannes, der von seiner Ehefrau verlassen wieder bei den Eltern einzieht, die an seiner Passivität verzweifeln. Dieser Figur gibt Philipp Plessmann durch sein halb schreiend, halb weinendes Spiel in seiner Überdrehtheit eine urkomische Note. Auch Nikolaus Benda als von einem Schlaganfall gelähmter Cellist – wohl tragischste Figur des Abends – sorgt in seinen spastischen Zuckungen für Lacher. Das einem vielleicht besser im Halse stecken bliebe. Sostmann hat trotz schlanker Strichfassung einen über dreistündigen Abend geschaffen. Erst wenn sich die Geschichten verknüpfen und sich ganz langsam – wenn auch nur ansatzweise – Kontext ergibt, erzeugt das Stück einen Sog, werden die einlullenden Szenenabfolgen aus Tristesse interessant. Ein nicht ganz einfacher, aber lohnender Abend, der schauspielerisch überzeugt und souverän inszeniert ist.
„3.31.93“ | R: Moritz Sostmann | 4.12. 19.30 Uhr, 13., 19., 30.12. je 19 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 221 28 400
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