Viele gesellschaftspolitische Fragen werden heute intellektuell verhandelt, obwohl sie die breite Öffentlichkeit noch gar nicht erreicht haben. Dabei steht die Arbeitswelt bereits vor ihrervierten industriellen Revolution. Sie wird Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort erzwingen und damit auch den Begriff Heimat neu definieren, denn das Crowdsourcing (arbeiten von irgendwo) hat nichts mehr mit geografischen oder politischen Grenzen am Hut. Und so wird die Heimat tatsächlich zu einem brüchigen Gefühl und zu einer Verteidigungslinie ohne reale Gegner. In „Fremd 4.0“ hat das Atonal Theater diese Befindlichkeit auf der Bühne der Alten Feuerwache in Köln seziert. Mit Musiker*innen und einem Schauspieler aus Chile, Kuba, vom Balkan, aus dem Senegal und Syrien.
Mit einer scheinbar leeren Bühne und materialchoreografisch beginnt die Reise durch vermeintlich deutsche Tugenden. Eine wandernde Wand mit Tür rollt auf die Zuschauer zu, eine Trompete, eine Trommel und ein erster Erzähler quetschen sich durch die Öffnung. Aidara Seck ist ein westafrikanischer Griot, der nach langen Jahren in Deutschland immer noch DIE deutsche Musik sucht. Als Musiker kann er sie nicht einmal an den Rhythmen festmachen. Er fragt sich, ob es sie überhaupt gibt. Regisseur Jörg Fürst inszeniert einen überaus sinnlichen Reigen aus Musik, Bewegung und Monologen über die fremden Blicke aufs Deutschsein. Dabei hat Rudi Rumstajn, Gitarrist und Kickboxer vom Balkan, den längsten Part mit seiner großartigen Erzählung über Sinti und Roma und die Unsichtbarkeit, über Kirmes und Rotlichtviertel und Platons Höhlengleichnis. Er, der mit 20 ohne Ziel nach Deutschland kam, fragt nach Konsum, nach Realität und – mag Schopenhauer.
Die Wand mit Tür ist längst wieder nach hinten gewandert, schafft Raum für den Syrer Mohammad „Saado“ Kharouf, der sich im spirituellen Ritual der Derwische dreht und seine Brüder in Aleppo vermisst. Für ihn ist Deutschland ein Papier- und ein Kaltland. Die beiden Frauen im Ensemble amüsieren auch Sprache und Wesen der Deutschen. Pia Miranda, die Posaunistin aus Chile, macht das am diffizilen Wort „ineffizient“ fest, Majela van der Heusen aus Kuba eher an der männlichen Verklemmtheit. Aber die Truppe stellt auch fest, dass zu viel Reden nicht gut sei und grooven mit den Deutschen lieber in den Sonnenuntergang.
„Fremd 4.0“ | R: Jörg Fürst | 21.3. - 24.3. 20 Uhr | Alte Feuerwache | 0221 985 45 30
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